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Neugarten: Zum Problem der Stigmatisationen

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Ich erinnere ferner an die Sprachbildungen1): entflammt sein, Flamme (Verehrte
), Liebesglut, heiß oder brennend begehren (brennend bedeutet immer die
Affeklbetonung, also Intensität eines Wunsches). Es ergibt sich nun folgende
naheliegende Annahme: Durch das Branderlebnis wurde verdrängte Libido2) —
Therese verdrängt nach den Schilderungen ihrer Persönlichkeit offenbar weitgehend
ihre Libido — mobilisiert: Diese Libido stößt aber bald auf den starken
Widerstand der unbewußten Zensur und kann sich daher nur als neurotisches
Symptom äußern. Der Rückenschmerz bedeutet Selbstbestrafung für das unbewußte
Aufbegehren der Libido und zugleich Erfüllung einer masochistischen
Tendenz8). Auch unterdrückt er weitere unbewußte Wunschregungen insofern,
als er Therese zwingt, den Brandplatz zu verlassen. Der vielfache Sinn der
Symptome ist eine wesentliche Entdeckung der Psychoanalyse. Therese hat
sicherlich, wie so viele Neurotiker, ein sehr feines unbewußtes Gewissen (Zensur
), woraus dann sehr starke, unbewußte Schuldgefühle resultieren. Gleich bei
Beginn der Erkrankung wird das „Kreuz" (ihr Rücken) Gegenstand ihres Lei- .
dens4). In der Fehlleistung des Fallenlassens des Kübels äußert sich eine
unbewußte libidinöse Tendenz, die sich durchsetzen möchte. Der Sinn ist: Der
Brand (d. i. die aufflackernde Libido) soll nicht gelöscht werden. — Das ganze
weitere Leiden steht genau wie der Beginn unter den drei genannten determinierenden
Tendenzen: Selbstbestrafung, masochistische Befriedigung, Verhinderung
libidinöser Auswirkungen in der Realität. (Es kommen sicherlich noch andere
Determinierungen, die eine Psychoanalyse ergeben würde, hinzu.)

Uebrigens ist auch Thereses zweiter kleiner Unfall, das Zurückfallen in den
Keller beim Versuch, Saatkartoffeln heraufzuholen, charakteristisch. Wieder
wehrt sie einen symbolischen Sexualakt, das Einpflanzen der Saat in die Mutler
„Erde", ab. — Der größte Teil ihrer Krankheitssymplome ist linksseitig. Ich
habe ein Vorherrschen linksseitiger Symptome oft bei Patienten mit relativ
-stärkerem andersgeschlechtlichem Einschlag, also bei Männern mit stärkerer
weiblicher und bei Frauen mit stärkerer männlicher Komponente, gefunden.
Diese Konstitutionsverhältnisse sind meines Erachtens überhaupt ein wesentlicher
Grund für neurotische Erkrankungen. Wieweit dies auch für Therese Neumann
zutrifft, könnte nur eine genaue dahingehende Untersuchung ergeben.
Wenn man aber auch den körperlichen Faktor aus Mangel an genügend scharfen
Untersuchungsmelhoden nicht nachweisen kann, besteht er sehr oft im Psychischen5
).

Nach jahrelangem Krankenlager kommt es schließlich zu den Heilungen.
Aus weldben unbewußten Motiven verzichtet sie nunmehr auf ihre Krankheit?
(So muß man als Psychoanalytiker fragen.) Da ist es interessant, festzustellen.

a) Sprachbildungen zeigen vielfach deutlich den symbolischen Gehalt.

2) Psychologisch ausgedrückt: unbewußte Wünsche sinnlichen Begehrens.

3) Unter Masochismus versteht man psychoanalytisch etwa: Tendenz, sich
zum Objekt auch schmerzbringender Triebe zu machen, also ein Leidenwollen

4) Möglicherweise drückt sich darin schon der besondere Leidenswiile einer
tiefen Schicht ihres Unbewußten aus.

5) Die linksseitigen neurotischen Symptome erwiesen sich nun tatsächlich in
der psychoanalytischen Arbeit oft als ein Ausdruck für den Kampf mit der gleichgeschlechtlich
gerichteten Libido. Das stützt also die Lehre von W. Fließ, nach
der die linke Seite vorwiegend die biologisch konträren Elemente der Persönlichkeit
-enthält. Im Unbewußten ist für alles Körperliche eine „psychische Repräsentanz"
<Freud) vorhanden. So erklärt sich die entsprechende Symptom{>ildung. Trifft

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