Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1927/0697
Neugarten: Zum Problem der Stigmatisationen. 677

die Symbolisten. Das viel zitierte Goethewort: „Alles Vergängliche ist nur ein
Gleichnis" ist nicht nur ein ästhetisch zu wertender poetischer Vers, sondern, wie
wir immer mehr erkennen, eine Wahrheit und Wirklichkeit. Nachdem eine
mechanistisch-kausale Wissenschaft in konsequenter Verfolgung ihres Zieles, die
Wirklichkeit durch ihre Mittel zu erfassen, das Wissen vom 'Gleichnis verachtete
und vielleicht verachten mußte, taucht dieses Wissen heute mit stärkerer
Kra'ft überall wieder auf und beansprucht seine Rechte. Wir finden es wissenschaftlich
fundiert1) in der psychoanalytischen Symbol- und Neurosenlehre1;
ferner als Lehre von den Ganzheiten, die mehr sind als die Summe ihrer Teile,
streng mathematisch berechenbar in der Gestalttheorie; des weiteren oft genug
sicher beobachtet in der Parapsychologie (wenn z.B. im psychometrischen Erleben
ein Gegenstand für das Medium nicht nur soine materielle Gegebenheit,
sondern auch sein Schicksal darstellt) und, noch im Stadium naturwissenschaftlicher
Fundierung begriffen, in der Homöopathie und Astrologie. — Kein Einsichtiger
hält heute noch das Ziel, welches sich dij Naturwissenschaften einstmals
steckten, auch nur für denkmöglich. Die Anerkennung des Gleichnisses
als der einen Seite der Wirklichkeit soll nun keineswegs eine Vernachlässigung
und Geringschätzung des mathematischen und kausalen Wissens und Forschens
bedeuten, vielmehr erleben wir durch sinnvolle Vereinigung und wechselseitige
Ablösung dieser beiden nach Auswirkung strebenden Funktionsweisen unseres
Geistes erst die volle Wirklichkeit. Gleichung und Gleichnis
müssen beide als wirklich und stets zusammenwirkend anerkannt werden
(F. Henning). — Das intellektuelle Wissen dient außerdem gleichsam als Sicherung
gegen die dämonisch wirkenden Mächte der Korrespondenz, und vielleicht
um ihrer Bändigung willen mußte der Mensch den Weg des Intellekts beschreiten
. Nur vereinzelt dürfte bei den noch heute auf der Stufe des magischem
Weltbildes lebenden Primitiven ein echtes Phänomen der Korrespondenz aktiv
magisch bewirkt werden können. Die Magie dieser Menschen ist in Wirklichkeit
eine Verzerrung echter Korrespondenz Wirkung, geboren aus atavistischer Erinnerung
an die wirklichen magischen Kräfte vielleicht mythischer Vorfahren <\
Es scheint mir das Wesen des Aberglaubens zu sein, daß in ihm die beiden
Seiten der Wirklichkeit in unrichtiger Weise verbunden werden, d.h.
man hält auf der Ebene der Realität für möglich, wias auf der Ebene der
Korrespondenz Wirklichkeit ist3). Welche Möglichkeiten in der Ebene der Korrespondenz
liegen, kann in keiner Weise an den Möglichkeiten, die naturwissenschaftliches
Denken anzunehmen erlaubt, gemessen werden. Hier ist unter Umständen
Leben auch ohne Nahrungsaufnahme durch den Körper denkbar. Wenn
prinzipiell Materialisationen * und Dematerialisationen möglich sind, darf man
diese Vorgänge auch als Hypothese für die Erklärung des Fastens ohne

*) Nicht exakt bewiesen, was eben aus der Natuir der Sache heraus, unmöglich
ist.

2) Diese Deutung gab ich im Winter 1925 in einem Vortrag: „Von der Psychoanalyse
zur Metaphysik" aus psychoanalytischen Ueberlegungen.
Damals erfuhr ich in der Diskussion zum erstenmal, daß E. Daaue auf Grund seiner
vorgeschichtlichen Forschungen zur gleichen Anschauung gekommen war. (Vgl.
Dacque: Urwelt, Sage und Menschheit, München 1924; ferner: Natur und Seele,
München 1926.)

3) Das gilt auch für Neurosen und Psychosen, die darum von der Ebene der
Realität her als Aberglauben erscheinen. Man denke an Angstzustände, Zwangsvorstellungen
und Verfolgungsideen.


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1927/0697