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678 Zeitschrift für Parapsychologie. 11. Heft. (November 1927.)
Gewichtsabnahme heranziehen, falls die Tatsachen es fordern. Dieses
paraphysische Geschehen könnte sich von Mensch zu Mensch abspielen, wobei
die gemeinsame seelische „Bindung'* vielleicht ein wichtiger Faktor ist.
Es war meine Absicht zu zeigen, wie die Wertung des Geschehens in Konnersreuth
von dem Standpunkt abhängt, von dem aus man es beurteilt. So
sieht der Mediziner die Kranke, der Psychoanalytiker die im Triebleben Gehemmte
, der Parapsychologe das Medium und darüber hinaus der Theologe die
durch ein Wunder Begnadete. Wir können zusammenfassend sagen: Therese
wird durch ihre Krankheit, die auf einer Hemmung ihres Trieblebens beruht,
zum Medium. Dadurch hat sie die Möglichkeit, sich in den Dienst einer religiösen
Idee zu stellen. Diese religiöse Idee formt sich sichtbar ihren Ausdruck durch
sie und manifestiert dadurch eine Seite des kosmi&uhen Geschehens, die auch
sonst überall in anderem zeitlichen Ablauf wirksam ist und stets bei entsprechender
(d. i. korrespondentieller)x) Einstellung als Wunder empfunden
wird.
Die besondere religiöse Seite des Problems ist — wie mir scheint — das
durch die Idee, in diesem Falle die Christus-Idee, vermittelte Werterlebnis
(Begnadung). Durch die hier vorgetragenen Betrachtungen wird diese Seite
nicht berührt und ihre Erörterung keinesfalls überflüssig gemacht.
Kronfeld: Diskussionsbemerkung zum Vortrag von Dr. Neugarten.
Das Problem, welches Therese Neumann und die früheren Stigmatisierten
gerade in parapsychologischer Hinsicht aufgeben, scheint mir nicht in der
psychischen Dynamik zu liegen: Trieb Verdrängungen, Schuldgefühle, Konversionsvorgänge
, Ueberichbildungen und Erlösungsideen kennen wir auch ohne
die spezifischen produktiven Kräfte und psychophysischen Gestaltungen, die
wir in Konnersreuth am Werke sehen. Ebensowenig hilft uns die physiologische
Erklärung aus dispositionellen Momenten vasomotorischer Art usw.
weiter, solange wir dabei den unmittelbaren Zusammenhang mit dem Erleben
in seiner religiös-schöpferischen Eigenart, die bis in die symbolisch-identifi-
zierende Transformation des Körperichs mit dem Christus der Passion führt,
aus dem Auge lassen. Weder die Physiologie noch die Psychoanalyse kann uns
die spezifisch-schöpferische Kraft eines Lionardo erklären; Freuds analytischer
Versuch „erklärt" den privaten empirischen Menschen in seiner seelischen
Struktur — eben bis auf dies eine: seinen Genius, seine schöpferisch-produktive
Kraft. Diese schöpferische Kraft, mag sie am Kunstwerk, mag sie an der Gestaltung
des Wellbildes, mag sie am Körperich angreifen — sie ist das große
Rätsel, das Geheimnis des „Supranormalen" — und zugleich vielleicht die
Entelechie «elber, die vis formativa, auf verschiedenen 'Ebenen ihrer Aktualität.
Auch im Falle von Konn^ersreuth bildet ihr Sein oder
Nichtsein das zentrale, eigentliche Problem. Gerade die Nähe
zu tiefster religiöser Erschütterung und Erhebung in diesem Falle legt uns
nahe, an ihr Eingreifen zu denken; denn nur wo es um äußerste und letzte!
Dinge geht, um Eschatologica (in einem allerdings ausgeweiteten Begriffe):
nur dort wird sie sich in einem „gewöhnlichen" Menschenkinde zu Aktualität
und Symbol hindurchringen. Auch in der Medialität suchen und ahnen wir
*) Korrespondenz wird verdeutscht mit „Entsprechung".
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