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Kleine Mitteilungen.
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!n der Monatsschrift „Natur und Kultur", Tyrolia-Verlag, München, lesen wir
unter der Uebersohrift „Ein seltsames parapsychisches Vorkommnis" folgendes:
„Aus dem Tagebuch der Missionsstation Ukerewe (Viktoriasee, Innerafrika).
14. Dezember 1925. Ein sonderbares Gerücht kommt uns heute zu Ohren.
Nach den Aussagen unserer Bakerewe (Name der Inselbewohner) handelt es sich
um eine Art Besessenheit bei einigen unserer Insulaner. Jählings würden sie davon
erfaßt und redeten dann in fremden Sprachen: kisvahili, englisch, deutsch ...
Leute, die nie etwas gelernt hätten, könnten lesen und schreiben, und was noch
eigentümlicher sei, man wisse nicht, wo sie Bücher und Papier bekämen. Seit
mehreren Wochen spricht alles von diesen Vorkommnissen.
15. Dezember. Der König hat alle Leute, die von dieser seltsamen Krankheit
befallen sind, von Urangara kommen lassen. Es scheint eine richtige Besessenheit
zu sein, von der niemand etwas versteht.
Der katholische König Gabriel ließ heute bekanntmachen: Sobald jemand in
diesen Zustand kommt, so kommt schnell und holt mich. Ich will sehen, um was
es sich handelt, und den Menschen zur Vernunft bringen.
Doch der Tag vergeht, ohne daß einer von dem Uebel befallen wird.
16. Dezember. Heute wurden alle zugleich von der Krankheit ergriffen. Man
rief den König Gabriel herbei, aber er war nicht imstande, die „Geister zu beschwören
". Nun erwartet man den Bezirksrichter von Muanza. Alle, die mit der
Sache zu tun hatten — es sind mehrere hundert — Männer, Frauen und Mädchen,
müssen in der Hauptstadt erscheinen. Wenn der schlimme Geist sie erfaßt, werfen
sie Töpfe, Gläser und Flaschen zur Erde, ohne daß sie zerbrechen. Gegen äen
Anfall können sie sich nicht wehren. Die Angst, die sie vor dem Ergriffenwerclen
haben, beschleunigt es nur. Während einiger Augenblicke sind Arme, Beine, der
Kopf, kurz alle Glieder in Bewegung. Die Besessenen wissen nicht, was während
der Zeit mit ihnen vorgeht. Nach einigen Augenblicken kommen sie in ihren
gewöhnlichen Zustand zurück, um nach ein paar Tagen wieder von dem Uebel
befallen zu werden.
30. Dezember. Der Richter von Muanza ist angekommen, um die seltsame
Erscheinung zu untersuchen. Alle Erkrankten sind samt dem Dorfältesten und dem
König nach Buramba befohlen worden, wo morgen die Untersuchung eingeleitet
werden soll.
31. Dezember. Pater Superior kommt von Buramba zurück, wo er den Verhandlungen
gegen die Mbandwa (Besessenen) beiwohnte. Er sagt, es sei nicht
möglich, sich über die Sache ein klares Urteil zu bilden. „Während meiner Anwesenheit
", erzählt er, „wurden zwei Personen von dem Uebel ergriffen. Ich
versuchte sie festzuhalten. Ich ergriff die Hände des Mannes, um sie an jeder Bewegung
zu hindern. Er war jedoch offenbar mit einer außerordentlichen Kraft
begabt und hätte mir eher den Arm zerbrochen als sich aufhalten zu lassen; auch
sein Kopf kam nicht zur Ruhe. Dabei redete er eine Sprache, die niemand verstand
. Sicher hat der Teufel dabei die Hand im Spiel. Nach einigen Minuten kam
auch die andere Person, eine Frau, wieder zu sich. Auch sie wußte nicht, was
mit ihr vorgegangen war."
4. Januar 1926. Ueber unsere „Besessenen" ist das Urteil gefällt worden.
Mehrere Unterhäuptlinge haben einige Monate Gefängnis abzubüßen, andere sind
zu ein paar Rupien Geldstrafe verurteilt worden. Aber der Oberhäuptling von
Buhaya, der Hauptschuldige bei der ganzen Geschichte, ist noch nicht gerichtet
worden. Er wird nach Muanza abgeführt, wo man ihm sein Urteil verkünden wird.
Mitgeteilt von P. Dr. M. Hallfell, Missionsseminar der Weißen Väter, Trier."
Anmerkung: Die Einzeichnungen vom 4. Januar lassen die Ueberschrift
doch recht gewagt erscheinen. Bei einem parapsychischen Vorkommnis kann im
allgemeinen von einem „Hauptschuldigen" nicht wohl die Rede sein. Auch die
bereits erfolgte Bestrafung der Unterhäuptlinge läßt eigentlich nur den Schluß zu,
daß es sich bei der ganzen Sache um einen groben Unfug gehandelt haben könnte,
wenngleich die Annahme nicht von der Hand zu weisen ist, daß das Gericht den
vorliegenden Tatbestand wissenschaftlich zu beurteilen nicht in der Lage war.
Dieser Auffassung scheint auch der Berichterstatter durch die gewählte Ueberschrift
zuzuneigen.
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