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Kleine Mitteilungen.
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Wir entnehmen der „Münchner Zeitung" vom 26. Oktober folgendes:
Goethe Gesellschaft. Was vor zehn, fünfzehn Jahren nicht möglich gewesen
wäre, es wird Ereignis: im dichtgefüllten Auditorium Maximum der Universität
spricht Professor Dr. Hans Driesch, der berühmte Leipziger Philosoph, über
„Parapsychologie als Wissenschaft". Er sagt es selbst, warum es
früher nicht möglich gewesen ist: Weil die letzte Vergangenheit, die zweite Hälfte
des vorigen Jahrhunderts, so dogmatisch gebunden war, daß sie zu einem wirklich
neuen Wissenszweig kein Verhältnis gewinnen konnte. Und die Parapsychologie,
d. i. die Psychologie, die neben der offiziellen Psychologie einherläuft — den
Ausdruck „Okkultismus" gebraucht er absichtlich nicht — i s t für ihn eine Wissenschaft
! Es handelt sich dabei um psychologische und mentale Paraphänomene;
mit der Seele haben es beide Arten zu tun, aber bei ersteren spielt auch der Leib
eine Rolle. Immer wird irgend etwa^s entweder getan (das Wort im weitesten Sinne
genommen) oder gewährt; aber die Wege, die das Tun einschlägt oder auf denen
das Wissen erworben wird, sind paranormal. Von hier aus ging der Redner daran,
die verschiedenen Phänomene im einzelnen darzustellen. Zunächst die parapsycho-
physischen, wie Telekinese und Materialisation, die — so führte er aus —, wofern
man nur mit dem Mechanismus gebrochen habe, sich ganz leidlich an Bekanntes
angliedern lassen. Viel schwerer zu „verstehen", (obwohl gerade sie vom Laien
am leichtesten aufgenommen werden) seien die rein seelischen: Telepathie, Gedankenlesen
, Hellsehen, Prophetie. Hier wie dort wußte er die theoretische
Erörterung fortwährend mit der Wiedergabe von selbsterlebten Fällen zu durchwirken
, denen die Hörerschaft unter lautloser Stille lauschte. Von einzelnem,
wie der Metagnomie oder gar der Psychometrie, „der dunkelsten Sache, die es
überhaupt gibt", gestand er ganz offen, nicht zu wissen, wie es zu verstehen sei.
Jedenfalls nicht durch die Strahlentheorie. Eher noch mit Hilfe der an die Leib-
nizsche Mona,denlehre erinnernden Hypothese vom „Weltbewußtsein". Sehr vorsichtig
äußerte er sich gegenüber dem Spiritismus (wofür er lieber Monadolo-
gismus sagen möchte): Es gibt keine Phänomene, meinte er schließlich, die spiritistisch
gedeutet werden müssen, aber \ ieit, die so gedeutet werden können,
und zwar weniger gezwungen. Im übrigen mahnte er, eines nie zu vergessen:
Was wir wissen, ist nur ganz wenig, und nichts ist lächerlicher als sich einzubilden
, man könne die Welt vollständig durchschauen, als wäre man dabei gewesen,
wie Gott sie gemacht hat. Halten wir uns an Goethe, für den es „Unmöglichkeiten
von vornherein" nicht gab.
Kant und das Hellsehen.
Von Studienrat Dr. Harms, Oldenburg.
In seinen „Träumen eines Geistersehers" gibt Kant drei Berichte
über hellseherische Wahrnehmungen Swedenborgs, von denen besonders
der dritte, berühmt geworden ist, weil er von manchen Autoren als ein
außerordentlich gut beglaubigtes Beispiel von räumlichen Hellsehen angegeben
wird*).
Auch Kant selber ist von der Beweiskraft seines Beispiels überzeugt gewesen.
In seinen „Träumen eines Geistersehers" (ich beziehe mich hier auf die Kehr-
bachsche Ausgabe, Samml. Reklam) heißt es auf Seite 47, die Geschichte sei „von
der Art, daß sich sehr leicht ein vollständiger Beweis ihrer Richtigkeit oder Unrichtigkeit
muß geben lassen". Un4 in dem Brief an Fräulein von Knoblauch, in
dem er ebenfalls dieses Beispiel erzählt, heißt es (a. a. O., Seite 3): „Die folgende
Begebenheit aber scheint mir unter allen die größte Beweiskraft zu haben und benimmt
wirklich allem erdenklichem Zweifel die Ausflucht." Und nachdem dann
die Schilderung des Vorganges erfolgt ist, heißt es (a. a. O., Seite 74): „Was
kann man wider die Glaubwürdigkeit dieser Begebenheit anführen? Der Freund,
der mir dieses schreibt, hat alles das nicht allein in Stockholm, sondern vor ungefähr
zwei Monaten in Gothenburg selbst untersucht, wo er die ansehnlichsten Häu-
!) Dieser Bericht handelt von einer Vision Swedenborgs, die dieser in Gothenburg
von einem gleichzeitig in dem etwa 700 km entfernten Stockholm stattfindenden
Brande hatte, und die sich nachher als völlig den Tatsachen entsprechend
herausstellte.
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