http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1927/0764
744 Zeitschrift für Parapsychologie. 12. Heft. (Dezember 1927.)
Was die Stigmatisierung betrifft, so gehört sie in die große, allbekannte
Reihe okkulter Erscheinungen, wo durch seelisches Tiefenerleben resonative Sympathiewirkungen
sich bis tief ins physiologische Gewebe hinein
geltend machen. Dieses resonative Angleichungsprinzip kommt übrigens sogar
in dem der regulären Naturforschung vorliegenden Gebiet als organisches Anpassungsvermögen
vor, das bekanntlich eine ungeheure Rolle in der ganzen organischen
Natur spielt. Die griechische Mutter glaubte daran, und nicht ohne Grund,
daß der Anblick schöner Statuen auf die Schönheit des Kindes in ihrem Leibe
einen Einfluß haben könne. Ehegatten passen sich durch längeres Zusammenleben
in oftmals erstaunlicher Weise resonativ aneinander an, so daß sogar ihr
Aussehen ähnlicher wird. Wie sollte ich weiter an all den tausend Beispielen
von resonativer Angleiohung wiederholen, was jedem aus der Literatur des kritischen
Okkultismus und aus dem Leben bekannt sein kannl Es genüge, daß festgestellt
wird, daß die Vertiefung des seelischen Erlebens bei manchen Ausnahmspersonen
so weit gehen kann, daß ihr Organismus sich ineinsfühlt mit einer
objektiv vorgestellten oder visionär gegenwärtigen Gestalt. Und das Prinzip der
Autosuggestion darf hier zweifellos als ein Teilausfluß des vertieften
Seelenlebens festgehalten werden,
i Alle Menschen können mehi oder weniger erleben, daß ein traumhaft vertieftes
seelisches Erleben ganz merkwürdige dynamische Wirkungen auf dei>
materiellen Organismus ausübt. Man träumt etwa lange Zeit, daß man sich mit
der Ersteigung eines Berges abmühen muß, oder daß man eine Tretmühle zu
bearbeiten hat, und dergleichen. Beim Erwachen wird man sich, obwohl der
Körper ruhig im Bette lag, so müde geträumt haben, daß man ordentlich erholungsbedürftig
ist. Das rein seelische Erleben von Vorgängen, die Ermüdung
mit sich bringen, hat die tatsächliche Ermüdung zur Folge. Zum Verständnis
dieser einfachen Tatsache hilft keine materialistisch-energetische
Hypothese mit Kalorien und Pferdek räften, sondern es besteht
einfach das Faktum, daß der Körper ermüdet, wenn die „Seele" ermüdende Vorstellungen
hegt, obwohl der Körper dabei gar nichts leistet. Ebenso kann es aber
umgekehrt geschehen, daß ein schöner Traum die „Seele" so mit Freude sättigt,
daß der Körper beim Erwachen so ausgeglichen ist, a 1 s o b e r durch ein Wunder
verjüngt worden sei. Ein mühsamer Schlaf macht müde, ein beglückender
Schlaf verjüngt, und zwar beides durch den Einfluß des Psychischen auf das Phy-
4 sische. Nun kann man daraufhin sehr einfach die Frage stellen, ob bei genügend
tiefem Traumerleben nicht auch die Aufnahme geträumter Nahrung fast so gut
ist, als ob sie wirklich eingenommen worden wäre. Darüber wird der geneigte
Leser vergnügt lächeln und konstatieren, ein wirklicher Braten sei entschieden
nahrhafter als ein geträumter. Aber ich verweise au£ das einfachere und ober-
flächl chere Beispiele zurüJc: ist ein? geträumte oder bloß dauernd intensiv vorgestellte
Abpiagerei wirklich so sehr viel weniger ermüdend als eine reale? Je lebhafter
man träumt, um so mehr wird die geträumte Mühe auch ermüden, die
geträumte Freude verjüngen und beseligen. Wenn dies aber bei Muskel- und
Allgemeinempfindungen zugegeben wird, kann es für Hunger- und Durstgefühle,
ja sogar vielleicht für die Aufbauerneuerung des organischen Zellgefüges nicht
prinzipiell in Abrede gestellt werden. Nun aber identifiziert sich die in Rede
stehende Somnambule zeitweise in außergewöhnlich tiefer Weise mit einer Person
aus der Zeit Christi oder mit dem leidenden Christus selbst. Dieses seelische
Erleben bedeutet für ihr körperliches Dasein fast alles. Die hier bestimmende
t
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1927/0764