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Zeitschrift für Parapsychologie. 12. Heft. (Dezember 1927.)
oberste Haut einer geschichteten unbewußt psychischen Masse, in die der
seelisch tief Erlebende hinabsteigt wie ein Bergmann in den Schacht. Und damit
wären wohl manche Fälle, wo ,,ein anderer Geist'* aus einem Medium zu sprechen
scheint, ohne Spiritismus begreiflich gemacht.
Die Dinge sind problematisch. Aber das liegt nicht an den Versuchen, sie
in weitere Zusammenhänge einzufügen, sondern an ihrer Seltenheit und individuellen
Emporgestaffeltheit, die si^ dem Studium nur so schw?r zugänglich
macht. Es dürfte aber wohl sein, daß aus der gemeinsamen Wurzel außergewöhnlich
vertieften seelischen Erl bens sowohl Stigmata als fehlende Ernährungmot-
wendigkeit als auch Reden in fremder Sprache begriffen, das heißt in einen
weiteren Naturzusammenhang eingefügt werden können. Daß das Phänomen
nichtsdestoweniger ein außergewöhnliches, wunderbares, und d r betreffende
Mensch ein im Gefüge der schöpferischen Wirklichkeit ,.auserwählter" ist, läßt
sich von keinem Standpunkt aus bezweifeln. Die Ehrfurcht vor solcher Tiefe des
Erlebens und Leidens müßte eine unernste Behandlung des Phänomens, wie sie
albernerweise auch vorkommt, grundsätzlich ausschließen.
Ohne christliche Mystik keine Lösung des Rätsels von
Konnersreuth.
Von Prof, Dr. A. Ludwig, Freising.
So viel ich bis jetzt auch von naturwissenschaftlicher Soitc über Konnersreuth
las, so unbefriedigt ließen mich alle diese Lösungsversuche durch aulo-
suggestive, hysterische, durch psychoanalytische oder fakiristische Deutung. Ich
hatte den Eindruck, daß man sich zu sehr an oie äußeren Phänomene hält und
den Zentralpunkt, das mystische Leben Therese Neumanns übersah.
Darum bemerkt Dr. Kronfeld sehr fichtig („Zeitschrift für Parapsychologie"
1927, Novemberheft S. 678), „weder die Physiologie noch die Psychoanalyse
kann uns die spezifisch-schöpferische Kraft eines Lionardo erklären. Freuds
analytischer Versuch „erklärt" den privaten empirischen Menschen in seiner
seelischen Struktur — eben bis auf dies eine: seinen Genius, seine schöpferisch
-produktive Kraft, mag sie am Kunstwerk, mag sie an der Gestallung
des Weltbildes, mag sie am Körperreich angreifen — sie ist das große Rälsel,
das Geheimnis des Supranormalen und zugleich vielleicht die Entelechie selber,
die vis formativa auf verschiedenen Ebenen ihrer Aktualität. Auch im Falle
von Konnersreuth bildet ihr Sein oder Nichtsein das zentrale, eigentliche Problem
." Zwar hat man sich vielfach von einer rein materialistischen Deutung,
wie sie noch Dr. Jacobi („Die Stigmatisierten", München, Bergmann 1923)
vortrug, gehütet, allein ich vermisse in den bisherigen Arbeiten die Kenntnis
der christlichen Mystik. Und doch handelt es sich hier um eine auf
seelischen Erfahrungstatsachen aus vielen Jahrhunderten aufgebaute theologische
Wissenschaft. Mystik im Sinne der Kirche ist die Gotteinigung der Seele, die
auf genau beschriebenen Wegen, nämlich der via purgativa, illuminativa und*
unitiva fortschreitet bis zum höchsten Ziel: iimige Berührung der Einzelseele
mit ihrem Schöpfer und Herrn. Man sehe sich doch einmal in dem prächtigen
Werk von Evelyn Underhill „Mystik" (mit Vorwort von Universitätsprofessor
Dr. Heiler, Verlag Iiemhordt. München 1928) dan bibliographischen Anhang
an und man wird staunen, ob der Fülle von Literatur über christliche Mystik,
was von Mystikern geschrieben wurde und über sie, von einem heiligen Bern-
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