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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1927/0768
748 Zeitschrift für Parapsychologie. 12. Heft. (Dezember 1927.)

Stadien mystischen Lebens. Und was das Merkwürdige ist, im Leben dieser
Klosterfrau von tiefer geistlicher Erkenntnis und einer feurigen, reinen Jesusliebe
zeigen sich, die Ekstase ausgenommen, keine außerordentlichen Phänomene
, keine Stigmen, keine Levitation, keine Kardiognosie. Daß auch Therese
Neumann in die Reihe dieser christlichen Mystiker, nicht aber Hysterischen oder
indischer Fakire zu stellen ist, geht doch evident aus der historisch treuen Schilderung
der Tatsachen hervor, wie Pfarrer Witt in seinem Buch „Konnersreuth
im Lichte der Religion und Wissenschaft" sie gibt. Wie ergreifend ist
z. B. die Antwort, die sie gibt, als sie das strahlende Licht sieht und die Stimme
sie fragt: „Resl, möchtest du nicht gesund werden?" Sie antwortet: „Mir ist
alles recht, leben und sterben, gesund sein und krank sein, der liebe Gott versteht
's am besten." Und als die Stimme weiter fragt: „Hättest du eine Freude,
wenn du dir selber wieder helfen könntest?" Da lautet ihre Antwort: „Ich habe
an allem eine Freude, was vom lieben Gott kommt; mich freuen alle Blümlein,
die Vögel, oder auch wieder ein neues Leiden. Die größte Freude habe ich am
lieben Heiland." Wahrlich, so spricht weder eine Hysterische, noch eine Magische
, sondern nur ein durchaus gottergsbenes, gottliebendcs, kindlich reines
und fröhliches Herz. Und diese Eigenschaften ihrer Seele, Gottergebenheit,
Leidensfreudigkeit, herzliches Mitgefühl mit Leidenden, fand ich als die hervorstechendsten
ihres Wesens, als ich sie besuchte und längere Zeit allein mit
ihr sprechen konnte. —

Nun noch ein Wort über die außerordentlichen Phänomene,
die sich an Therese zeigen, besonders die Stigma. Es ist hier zu betonen, daß
die Wissenschaft der Mystik diese Dinge ganz als Nebensache, als Akzidenzien
behandelt. So schreibt z. B. Zahn in seiner „Einführung in die christliche
Mystik", 5. Auflage (Paderborn, Schöningh 1922) S. 4i2: „Wer einmal
über die zentrale Stellung sich klar geworden, welche der Beschauung im mystischen
Leben zukommt, ... dem kann es nicht befremdlich sein, zu. lesen, nüt
welcher Entschiedenheit hochangesehene Mystiker, wie etwa der Heilige Johannes
vom Kreuz, über die nur sekundäre Bedeutung der außerordentlichen
mystischen Phänomene sich aussprechen. "Vielmehr wird jeder diese Wertung
billigen, der die Mystik als das nimmt, was sie wirklich ist. Und nur beim völligen
"Verkennen des Wesens und der Geschichte der Mystik könnte die Befürchtung
statt haben, als ob durch eine besonnene Reserve gegenüber dem Außer-
4 ordentlichen die Mystik selbst gefährdet würde." *)

Ribet („La -mystique divine") unterscheidet Phänomene intellektueller,
affektiver und körperlicher Ordnung. Zu den ersleren gehören Visionen und
Einsprachen, Privatoffenbarungen und besondere wissenschaftliche und künstlerische
Begabungen; zur zweiten die Ekstasen und Stigmen, zur dritten außerordentliche
Nahrungsenthaltung, mystischer Wohlgeruch, Levitation und Lichtstrahlung
. Was nun speziell die Stigmatisation anlangt, so urteilt wieder
Zahn sehr nüchtern durch die Behauptung, es sei für die kirchliche Mystik keine
Lebensfrage, ob es eine natürliche Stigmatisation gebe. Es gibt ihm aber zu
denken, weshalb dann die Stigmatisation, wenn sie auf starker Betätigung der
Phantasie allein beruht, nicht viel häufiger im Verlauf der Kirchengeschichte,
namentlich in Perioden des Glaubensenthusiasmus, wie z. B. zur Zeit der Kreuz-

i) Auch der französische Theologe Poulain hat in seinem Werk „Die Fülle
der Gnaden (Les graces d'oriaison)", deutsche Ausgabe 1906 den akzessoiischen
Charakter dieser Phänomene hervorgehoben.


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