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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1927/0772
752 Zeitschrift für Parapsychologie. 12. Heft. (Dezember 1927.)

der gleiche vollblütige Wirklichkeilsgehalt anhaften würde, wie etwa einer leibhaftig
erlebte und wahrgenommenen Situation aus dem wirklichen Leben),
oder handelt es sich um einen ähnlichen Bewußtseinszustand, wie etwa bei lebhaften
Träumen? Auch das „Licht**, das manche der Visionen der Stigmatisierten
(vor allem die Erscheinungen der heiligen Therese) begleiten soll, wird
nie näher analysiert. WJclur Art ist es? Sieht sie vor sich im Raum einen
Lichtschein (wie einen Sonnenstreifen oder dgl.), oder handelt es sich um ein
„inneres Licht", wie es in den mystischen Selbitschilderungen so oft vorkommt,
um ein Phänomen aho, das sich wohl mit dam eng decken dürfte, was bei
Theosophen und Anlhroposophen oft als das Sehen der „geistigen Aura*' bezeichnet
wird? Dies Erleben des mystischen „weißen Lichtes** kann vielleicht als
eines der Kennzeichen, wenn auch nicht als das einzige, echter mystischer Erlebnisse
betrachtet werden1). Statt diesen Unterschieden in der Art der Erlebnisse
soweit nur irgend möglich nachzugehen, begnügt man sich auch hier
wieder, wie bisher fast immer bei solchen mystischen Erlebnissen (ausgenommen
die Selbstschilderungen in der „Seelenburg** der ,,großen* Heiligen
Therese von Avila, aho nicht dar „kleinen** Heiligen Therese, der Schutzpatronin
der Stigmatisierten), mit bloßen Andeutungen über das, was erlebt
wurde („ein Licht*', „die Geißelung, Dornenkrönung* usw.), statt daß das Wie
des Erlebens eingehend erforscht würde. Auf den Umstand, daß die Stigmatisierte
in ihren Ekstasen teils die leidvollen Erlebnisse Christi selbst (die Dornen-
wunden und Stigmata!), teils aber die in den kirchlichen Kommenlaren
üblichen Empfindungen des Betrachters dieser Leidensgeschichte symbolisch
darstellt (sie weint ,.blutige Tränen*' über das Leiden Christi), hat Prinzhorn2)
bereits hingewiesen.

Religionsphilosophisch-theologisch wichtig schiene auch noch eine weitere
Aufhellung des Verhältnisses der Stigmatisierten zu Christus. Beschränkt es
sich auf die stereotype Wiederholung ihres Erlebens der Passion Christi, wie sie
überliefert ist. in den Freitagsekslasen? Dann könnte es sich um ein psycho-
palhologisch erklärbares automatisches Auftauchen bestimmter Vorstellungskomplexe
, vielleicht Halluzinationen in stets sich wiederholender stereotyper
Gleichförmigkeit an jedem Freitag handeln — oder auch um ein nur para-
psychologisch zu erklärendes regelmäßiges Wiedererleben der „kosmischen
Spuren**, des „kosmischen Erinnerungsbildes'* (oder wie man es nennen will)
von Ereignissen, die sich nach der Ueberlieferung vor und bei dem Tode Christi
* wirklich abgespielt haben. Damit wäre aber noch keine theologisch bedeutsame
Verbindung mit Christus selbst wirklich gegeben, sie könnte hinzu kommen,
aber auch völlig fehlen. Denn nach der Lehre der Kirche ist ja doch Christus
^auferstanden**, er lebt noch im „Jenseils'*, wo und wie immer man sich dieses
vorstellen mag. Manche Heilige des Mit'elalters berichten, daß ihnen der so
auferstandene, noch lebende Christus in völlig neuen Situationen (also nicht in
bloßer Wiederholung des in der Bibel aus seinem Erdenleben überlieferten)
begegnet sei — so z.B. die „große** Heilige Therese. Auch in unserer Zeit
gibt es noch lebende oder erst vor kurzem verstorbene Menschen, die berichten,
daß und wie ihnen Christus auf diese Weise begegnet sei (vgl. z.B. „Lucio

i) Vgl. „Zur Phänomenologie der Mystik" (Niemeyer, Halle 1923) von dem
Verfasser, insbesondere S. 104, 135 ff., 161 ff.

*) Prinzhorn: „Leidensleistung, Heiligkeit, Lebenslehre" im „Stettiaer Generalanzeiger
" Nr. vom 13. November 1927.


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