http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1928/0625
Böhm: Das mediumistische Malen des Nürnbergers Heinrich Nüßlein. 617
besprochen werden, wobei ich bestrebt bin, das Okkulte" möglichst auszuschalten
und das Psychologische hervorzuheben.
Diesen Standpunkt müssen wir Parapsychologen überhaupt nunmehr einnehmen
. Auf Grund weiterer Versuche und Studien auf dem Gebiete des
„Seelischen Erfühlens" bin ich zu der Ueberzeugung gekommen, daß dieser
psychische Vorgang der gleiche ist, wie der uns gewohnte des Erinnerns.. Es
besieht nur ein gradueller Unterschied in der Konzentrationstiefe und -dauer,
im Grade des Bewußtseinszustandes, und in der Erfassungsweite der Seele.
Das seelische Erfühlen bei Erwachsenen gehört zu den notwendigen Fähigkeilen
des Menschen, bei „Medien*' ist es nur in erhöhtem Maße noch vorhanden
, es bildet gewissermaßen ein Ueberbleibsel aus der ersten Kinderzeit,
wo es als einzige Wahrnehmungsmöglichkeit gegeben ist, solange die Sinne
noch nicht vollkommen tätig, das Wachbewußtsein noch nicht ganz erwacht
und ein Gehirndenken noch nicht stattfindet..
Auch das sog. Willensproblem wird leichter zu lösen sein, wenn man
beide menschliche Anlagen als vorhanden anerkennt. Diese Fragen habe ich
eingehend besprochen in meiner soeben erschienenen Abhandlung „Inneres
Schauen von menschlichen und kosmischen Beziehungen der Seele" mit neuen
eigenen Versuchen und Selbsterlebnissen. (Baum-Verlag, 1928.)
Um die uns als Bildwerke gegenüberstehenden farbigen Produktionen
Heinrich Nüßlein s richtig betrachten, deuten, verstehen und beurteilen
zu können, muß man vertraut sein mit psychologischen und parapsychologischen
Fragen, mit Vorgängen innerhalb der seelischen Grenzgebiete. Durchaus
falsch wäre es, als Kunstkritiker oder Kunsthistoriker, ähnlich einem Mitglied
einer Kommission, welche Gemälde zur Aufnahme in eine der gewöhnlichen
Kunstausstellungen auszuwählen hat, Linienführung und Farbengebung nach
den Grundsätzen einer erlernbaren Technik zu kritisieren, zu zerlegen und zu
zerstückeln. Jedes Bild muß man hier als Gesamtheit gefühlsmäßig auf sich
wirken lassen. Die Bilder Nüßleins, der keine künstlerische oder maltechnische
Ausbildung genossen hat, sind nicht nach den Regeln einer Schule hergestellt
und dürfen und können daher auch nicht nach solchem Maßstab bewertet
werden. Es handelt sich vielmehr hier um Expressionen, d.h. Ausdrücke see-
lisch-geisliger Innenvorgänge in teilweiser Anlehnung an persönliche Eindrücke
früherer Zeil. Die Besonderheiten der Motive und Farbenkombinationen nach
Mannigfaltigkeit und Darstellungsart bringen es selbstverständlich mit sich,
daß ein Bild dem einen Beschauer gefällt, dem anderen mißfällt. Ich habe
über ein und dasselbe Bild schon bis zu fünf durchaus voneinander abweichende
Urteile hören können. Die Geschmacksrichtungen der einzelnen Menschen,
besonders bezüglich der dem Auge sich bietenden Dinge, sind bekanntlich außerordentlich
verschieden.
Wer die Bilder Nüßleins unvoreingenommen betrachten will, muß, auch
wenn er Künstler ist, die Fähigkeit besitzen, wenigstens vorübergehend seine
eigene Meinung ausschalten zu können.
In jeden Menschen sind eine Menge von Trieben gelegt, so auch ein Geltungstrieb
, ein Ausdrucks- und Gestaltungsdrang, ein Spiel- und Schmucktrieb
. Die lustbetonte Anlage zum bilderischen Gestalten war bei Nüßlein
schon im Kindesaller außerordentlich stark; immer wieder versuchte er, in
einer künstlerischen Betätigung für seine Neigung Befriedigung zu finden,
40
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1928/0625