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Lipschitz: Eine kosmobiologische Hypothese. 45
Rätseln — vor allem dem der Vererbung — die Schleier nicht unbeträchtlich
zu lüften.
Die Ueberlegungen gingen von der Tatsache aus, daß es gewissen Menschen
möglich ist, physikalische Veränderungen an ihrem Körper und außerhalb ihres
Körpers im Raum durch Vorstellung hervorzurufen. Vorstellung ist Erwecken,
Wachrufen von im Hirn niedergelegten Erinnerungsbildern früherer Wahrnehmungen
. Es scheint also, daß manche Menschen imstande sind, den physikalischen
, elektromagnetischen Vorgang, der die Wahrnehmung begleitet (die
moderne Naturwissenschaft drängt immer mehr dahin, alle physikalischen Vorgänge
als elektromagnetische anzusehen), umzudrehen und auf dem gleichen
Wege, auf dem sonst nur zentripetal empfunden wird, dieselben oder, korrekt
gesagt, ähnliche physikalische Energien zentrifugal in den Raum vorzustellen.
Da unsere Vorstellungen gemeinhin nur der Schatten unserer Empfindungen
sind, an Intensität der denkbar schwächsten, von außen kommenden Empfindung
weit nachstehen — sonst wären wir allesamt Halluzinanten —, so kann
nicht erwartet werden, daß der physikalische Vorgang der normalen Vorstellung
die Grenze der physikalischen Wahrnehmbarkeit für andere überschreitet. Daß
er bei der Vorstellung des Normalen überhaupt nicht existiert, ist damit
noch nicht bewiesen. Auch der Schweif des Kometen existiert, und dennoch
war es, bis vor kurzem wenigstens, nicht möglich, beim Durchgang der Erde
durch ihn auch nur das Geringste von ihm nachzuweisen. Es steht aber nichts
im Wege anzunehmen, daß der physikalische Vorgang der normalen Vorstellung
an Intensität hinter demjenigen des Kometenschweifs noch weit zurückbleibt
. Andererseits lehrt der Augenschein, daß es eben doch einzelne Menschen
gibt, offenbar Menschen mit außerordentlicher starker Vorstellungskraft
, deren Vorstellungen unter besonderen Bedingungen, die das Bewußtsein
verändern — Trance, Hypnose, Ekstase usw. — physikalisch nachweisbar werden
. Nun unterscheidet der Nervenarzt gewöhnlich zentrifugalleitende, motorische
und zentripetalleitende, sensible bzw. sensorische Nerven. Man darf
sich also die Frage vorlegen, wo denn, falls Vorstellung ein physikalischer Vorgang
ist bzw. von ihm begleitet ist — wahrnehmbar nur bei Medien, nicht
wahrnehmbar beim Normalen — dieser zentrifugale Vorgang im sensiblen,
angeblich nur zentripetalleitenden Nerven verläuft. Da wir auf allen Sinnesgebieten
ein mehr oder minder starkes Vorstellungsvermögen besitzen (individuell
sehr verschieden), so müßte eigentlich jeder Sinnesnerv neben seiner
sentripetalleitenden Bahn auch eine zentrifugalleitende haben. Wie wäre es
denn nun, wenn man so sagte: Alle Achsenzylinder sind nur zentrifugal-,
also vorstellungsleitend, dagegen alle zentripetale Leitung der Empfindung
gebunden an das interfibrilläre, viel feinere protoplasmatische Medium des
Axoplasmas? Existiert irgendeine Tatsache, die mit solcher Auffassung' absolut
unvereinbar wäre? Es ist keine zu sehen. Im Gegenteil. Da gibt es in
der Neurologie einen sehr merkwürdigen Tatbestand, noch eines der ganz großen
Rätsel der Neurologie. Trotz Heads Bemühungen ist es nämlich noch
nicht gelungen, die Tatsache befriedigend aufzuklären, daß nach Unterbrechung
.eines gemischten Nerven sich die zentripetale Empfindungsleitung sehr häufig
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