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Bernoulli: Kritik der Kritik.
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mehr ganz allgemein darum, über beobachtete Phänomene unverbindlich zu
berichten und durch die Fülle dieses Materials eine gewisse Wahrscheinlichkeit
für deren parapsychologischen Charakter festzustellen. Es sollte nunmehr
dazu geschritten werden, auf erkennbarem Grundriß eine neue Wissenschaft,
die Parapsychologie, aus gesichertem Material nach überlegten Methoden systematisch
aufzubauen.
Zu diesem Beginnen gehört - das ist gar keine Frage - Kritik. Und
zwar Kritik nach allen möglichen Gesichtspunkten: Da ist zunächst die Beobachtung
des Phänomens; schärfste Kontrolle der eigenen Sinnenswerkzeuge:
klare Ueberlegung, welche Fehlerquellen möglicherweise vorhanden sind; sorgfältige
Prüfung aller Indizien, die für oder gegen die parapsychologische Natur
des beobachteten Resultates sprechen; das sind die unerläßlichen Vorbedingungen
.
Der zweite Punkt: eine lückenlose, jedes Mißverständnis ausschließende,
klare und eindeutige Protokollierung der beobachteten Phänomene im' Zusammenhang
mit allen Umständen, unter welchen dieselben hervorgebracht wurden.
Soll die Kritik schon jetzt einsetzen? Soll sie untersuchen, ob die berichteten
Phänomene a priori möglich sind? Diese erste Frage muß unbedingt tver-
neint werden Gerade liier hat die zu früh einsetzende Kritik furchtbare
Verwirrungen angestellt. Es läßt sich von vornherein auf unserm Gebiete
kaum mit Sicherheit feststellen, was möglich und was unmöglich ist.
Die zweite Frage wiude etwa lauten, ob an der Beobachtung selbst bzw.
an der Berichterstattung Kritik geübt werden kann? Ja; hier muß die Kritik
einsetzen. Aber auch hier sind ihr bestimmte Schranken gesetzt: Sie kann
Lücken, Widersprüche, Unklarheiten feststellen. Aber über die Natur der
Phänomene ist noch kein Urteil möglich. Würde die Kritik jetzt schon
Schlüsse ziehen, die dahin zielen, so würde sie sich selbst ad absurdum führen.
Machen wir uns klar, was das bedeutet: Jedes unserer heute anerkannten
Medien hat eine Periode hinter sich, wo es im Familienkreise schlecht beobach-
tete, völlig unzulänglich und widerspruchsvoll protokollierte Phänomene zum
besten gab. Hätte die Kritik damals schon eingesetzt, hätte sie auf die völlig*
unzureichenden Kontrollen und die absolut wertlose Berichterstattung hingewiesen
, so wäre sie leicht dahin gelangt, daß sie, wie das gelegentlich sonst
kritischen Köpfen passiert ist, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, das heißt,
die Echtheit der Phänomene, scheinbar mit guten Gründen, bestritten hätte.
Eine solche Kritik hätte zur Folge gehabt, daß die betreffenden Medien es niemals
zugelassen hätten, daß selbst der wohlwollendste Kritiker sich mit ihren
Leistungen hätte auseinandersetzen dürfen. Es wäre nie dazu gekommen, daß
sie sich den immer schärfer werdenden Bedingungen einer wissenschaftlichen
Untersuchung zur Verfügung gestellt .hätten. Mit einem Wort, der Parapsychologie
wären ihre Grundlagen von vornherein entzogen worden. Das
unkontrollierbare Stadium der gruseligen Abendunterhaltungen im Familienkreise
wäre zur Dauererscheinung geworden. Nur dem Umstand, daß geduldige
Beobachter sich mit den ungünstigen Bedingungen abgefunden haben und
in langwieriger, unermüdlicher Arbeit sich das volle Vertrauen ihrer Ver-
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