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Walthari: Problematische Krisis.

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Kritik und Methodik.

Problematische Krisis.

Von Dr. Walthari D i e t z , Frankfurt a. M.

Jede Krisis ist ihrem Wesen nach problematisch; sie fordert eine Entscheidung
, so oder so; ein Teil wird damit als negativ erklärt. Notwendig. Oder
aber wir schließen einen Kompromiß, indem wir jedem Teil „sein Recht"
werden lassen, indem wir den einen wie den anderen rehabilitieren. Nun denn,
jede Gerechtigkeit auf Erden bleibt stets irgendein Kompromiß. Wirkliche
Entscheidungen gibt es vielleicht überhaupt nicht, alle sind nur scheinbar —
ausgenommen höchstens manche Selbstmorde. Wirkliche Entscheidungen führen
gradwegs in den Nihilismus. —

Dies ist heutige Problematik. Auflösung allenthalben. Bis zum Nihilismus.
Und dann kommt die große Leere, die kaum einer zu ertragen vermag oder —
die Neurose. Die Neurose ist die Daseinsform einer zahllosen Menge. Ein weiterer
Rest verharrt in Stumpfheit — nicht Dumpfheit — und der letzte lebt
im Bewußtsein der „Fragwürdigkeit des Menschen". Hält ihn aber immerhin
der Frage für würdig, was er denn sei, er, dies „noch nicht festgestellte Tier",
wie der Verkünder dieser Fragwürdigkeit: Friedrich Nietzsche den „Herren
der Schöpfung" nannte.

Das Wissen um diese Fragwürdigkeit, um die Problematik der Zeit, das
Wissen um die Lebensfeindschaft des — soweit wir wissen - - nurmenschlichen
Geistes (Romantik, Nietzsche, Klages), das Wissen um die schlechte
Verdauung von Triebangelegenheiterl des auch triebhaften Menschen (Nietzsche,
Freud) schufen uns diese Problematik und schufen, womit wir einen Ausweg
erhoffen — weil es uns irgendwie logisch dünkt und weil wir einen Ausweg
wünschen —, den Begriff der Psychotherapie und den Psychotherapeuten als
die „unter allen fragwürdigen Gestalten der modernen Gesellschaft fragwürdigste
" „credite sapiente" — also spricht Hans Prinzhorn.

Derlei Gedanken sind heute ja nicht mehr neu, wennschon sich die meisten
sie auch nicht gerne eingestehen. „Intellektuelle Redlichkeit" ist nicht jedermanns
Sache, noch weniger Ehrlichkeit sich selber gegenüber — trotz Nietzsche,
trotz Klages, Freud, Prinzhorn und all denen, die dafür eintreten. Und kann
nicht jedermanns Sache sein. Dafür mangelt es zu vielen heut am dazu nötigen
vitalen Fond, an der „lebensgerechten Einordnung". Diese aber gerade trachtet
Prinzhorn denen, so ihrer bedürfen: den Vereinsamten, den Losgelösten, den
in der dünnen Luft ihres Intellektes Hängenden (wenn dies Bild erlaubt ist),
den Neurotikern zu verschaffen. Und dies sei das Ziel einer jeden Psychotherapie
, das einzige Ziel. Nicht die Reduktion auf einen Allerweltsdurch-
schnitt (heiße er sozial brauchbares Durchschnittsvieh, das sich normal vermehrt,
heiße der Großstadttyp, Bürger, „normal" oder sonstwie), sondern die Reduktion
des Hyper tr ophier ten auf den ihm gemäßen
Lebensstand, die Reduktion auf das Optimum der ihm inne-


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