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Kleine Mitteilungen

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Die Verteidigung der ebenfalls angegriffenen Psychoanalyse wollen wir den
Analytikern selber überlassen. Seine Ablehnung des Psychoanalyse hat Strasser
übrigens schon in seiner Schrift „Psychiatrie und Strafrecht" *) dargetan. Die Art,
wie er aber jene Psychoanalytiker apostrophiert, die sich vom einseitigen Dogmatismus
der Wiener Schule losgesagt und auch für das Gebiet der okkulten Phänomene
einiges Verständnis gewonnen haben, wirkt auf jeden Sachkundigen direkt
betrübend. Die abschätzigen Bemerkungen betreffend der Rohkost und des
„Aberglaubens an die Vitamine" sind recht unangebracht in einer Zeit, wo die
wissenschaftliche Medizin Schritt für Schritt die zuerst nur von wenigen verkündeten
Tatsachen über den Einfluß der Vitamine auf die menschliche Gesundheit
und die Notwendigkeit eines Ueberganges von der viel zu reichlichen eiweißhaltigen
Kost zu einer natürlicheren Ernährung anerkennen muß.

Der „Glaube" an die Suggestion wird von Strasser als „Feind einer im
wahren Sinne des Wortes naturwissenschaftlichen Forschung" erklärt. Gedankenlesen
, Telepathie und Hellsehen — sämtlich in Anführungszeichen gesetzt
— teils auf Taschenspielerei, teils auf „eigenartige Zufälle" zurückgeführt,
wobei der weise Nervenarzt seines eigenen Aberglaubens an den Zufall gewahr
wird. Den vielen Tausenden von gutbeglaubigten Tatsachen, die er als mit seinen
Theorien unvereinbar samt und sonders ignoriert, stellt der Verfasser seine persönliche
Meinung gegenüber. Er operiert mit der kühnen Behauptung, ein Rätsel
lasse sich stets und unter allen Umständen physikalisch oder psychologisch erklären
(d. h. psychologisch im Sinne der oberflächlichen mechanistischen Psychologie
, der Verf. huldigt). Es bleibt unerfindlich, wie ein Arzt und allgemein
gebildeter Mensch es fertig bringt, eine solche Kette von einseitigen und unrichtigen
Urteilen dem gutgläubigen Volke als „wissenschaftliche Wahrheit" vorzusetzen
. Wer mit ernstesten und tiefsten Fragen des Seelenlebens auf derart
leichtfertige und demagogische Art umspringt, kann kaum den Anspruch erheben,
als wissenschaftlicher Forscher ernstgenommen zu werden. Dieser neue Fall ist
ein Musterbeispiel dafür, wie weit man durch einen verbohrten Rationalismus
vom Wege zur wahren Erkenntnis abkommen kann.

Die Hellseherin Frau Günther-Geffers.

Von Dr. Otto Seeling, Berlin.

A. Meine Bekanntschaft mit Frau Günther-Geffers verdanke ich Herrn
Rechtsanwalt Dr. Winterberg, dem Verteidiger der Genannten in dem bekannten
Strafprozeß. Ehe ich auf meine Beobachtungsergebnisse eingehe, will ich zunächst
einige Mitteilungen aus dem Lebenslaufe der Königsberger Hellseherin
geben.

Frau Günther-Geffers ist am 41. Juli 1871, 9 Uhr 12 Minuten vormittags,
als Tochter des damaligen Postinspektors Geffers und seiner Ehefrau geb. Chäm-
beau geboren. Der Großvater väterlicherseits war Schneidermeister in Inster-
burg. Der Vater, ein angeblich sehr sensibler Mann, der den Spitznamen „der
Riecher" führte, starb schon im 49. Lebensjahre. Die Mutter stand mit der
jüngeren ihrer beiden am Leben gebliebenen Töchter nicht besonders gut
„Meine Mutter konnte mich nicht verstehen, weil ich oft Aussprüche tat, die ein
Kind nicht aussprechen kann." Frau Günther-Geffers war schon als Kind äußerst
heftig und empfindlich. Sie sträubte sich sehr dagegen, daß sie etwa die Kleider
ihrer älteren Schwester „nachtragen" sollte, warf sie zu Boden und stampfte
mit den Füßen auf den Kleidern herum. Frau Günther-Geffers war nie eine gute
Schülerin, insbesondere machte ihr nach ihrer eigenen Angabe das Rechnen
Schwierigkeiten. Der erste hypnotische Versuch wurde mit ihr gemacht, als sie
141/2 Jahr alt war. Während der mit ihr veranstalteten Experimente trat die
•erste Menstruation ein. Es handelte sich um einen wandernden Hypnotiseur,
wie sie damals trotz des schon bestehenden Verbotes in größerer Zahl Deutschland
bereisten. Dieser Experimentator holte sich seine Medien aus dem Saale
auf die Bühne. Unter den ausgesuchten Personen befand sich auch Fräulein
Geffers, die auf Anhieb in echte, tiefe Somnambulhypnose gefallen sein soll.
Die Hypnose verlief unnormal; denn es „riß" der Rapport und das junge Medium
verfiel in den Zustand der Lethargie. Zu Hause angekommen, fühlte sie sich

1) Zürich 1927.


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