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Kleine Mitteilungen.
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Eines Tages stellte ich mich unvermittelt vor Frau Günther-Geffers hin und
fragte: „Können Sie mir sagen, was ich körperlich durchgemacht habe?" Frau
Günther-Geffers sagte, daß ich dicht vor einer Operation gestanden hätte, daß
das aber schon drei Monate her sei. Ich sei schon einmal durch „Ueberdruck"
in Lebensgefahr gewesen. Vor Schreck und Aufregungen solle ich mich hüten.
D. Beurteilung. Ein endgültiges Urteil kann auf Grund der von mir angestellten
Versuche nicht gefällt werden. Aber zunächst geht doch mit aller Deutlichkeit
aus den Experimenten hervor, daß von einer Exaktheit, wie sie unbedingte
Voraussetzung für kriminaltelepathische Zwecke ist, nicht die Rede war.
Was z. B. den von Frau Günther-Geffers sogenannten chiromantischen Versuch
betrifft, so kann die „Leistung" ebensogut auf scharfe Beobachtung wie auf
intuitive Einfühlung zurückgeführt werden. Ganz falsch ist die Angabe, daß
in der Familie meiner Eltern nur wenige Kinder vorhanden gewesen seien. Es
stimmt auch nicht, daß ich mit einem meiner zahlreichen Geschwister „eng
zusammenhänge". Ein krasser Gegensatz besteht darin, daß mir beim zweiten
Experiment ein sehr hohes Alter vorausgesagt wurde, während beim dritten Versuch
, den ich des Raumes wegen nur gekürzt berichten konnte, doch so etwas
wie stark erschütterte Gesundheit mit Lebensgefahr „unterbreitet" worden ist.
Die Operation wurde auch nicht vor drei Monaten erörtert, sondern vor genau
zwei Wochen. Davon, daß ich schon einmal durch „Ueberdruck" in Lebensgefahr
gewesen bin, ist mir nichts bekannt. Diese Kritik soll nun nicht etwa
besagen, daß Frau Günther-Geffers keine parapsychischen Fähigkeiten besitzt,
sondern ich habe zeigen wollen, daß ein Medium mit sogenannten hellseherischen
Qualitäten nicht in der Lage ist, nach Art des Tagewerkes eines Handwerkers
allerlei bisher Verborgenes zu offenbaren. Wer irgendwie Einfluß auf medialbegabte
Versuchspersonen hat, sollte gleich von Anfang an auf die geringe
Exaktheit vieler Einzelleistungen aufmerksam machen und dringend davor warnen
, aus dem Okkultismus ein Geschäft zu machen, bei dem man Enthüllungen
und Voraussagen wie Seife und Scheuerlappen zu verkaufen imstande wäre. Der
Parapsychologie als Wissenschaft ist mit der angedeuteten Auffassung und Verwendung
seltener Gaben nicht gedient. Und gar eine Detektei zu begründen
und sich als Hellseher die Bezeichnung Detektiv mit besonderer Begabung zuzulegen
, erscheint ganz abwegig. Wenn auf hundert Fälle auch nur ein einziges
Mal die Verdächtigung eines Unschuldigen kommt, so kann die Kriminaltelepathie
sich gleichwohl nicht damit entschuldigen, daß in der Polizeipraxis vielleicht
viel mehr unglückliche Irrtümer vorgekommen sind und trotz aller Verfeinerung
der Methoden auch weiter vorkommen werden. Die psychometrischen Fähigkeiten
der Frau Günther-Geffers konnte ich leider nicht nachprüfen, weil die Versuchsperson
erklärte, daß sie nur am prte der Tat infolge eigenartiger Inspiration
in den entsprechenden Seelenzustand gerate. Die Hellseherinnen sollten öfter
als bisher an Worte wie folgende denken:
„Euch Sterblichen zum Glücke verbarg der Götter Schluß
die Zukunft eurem Blicke."
(Geliert, Semnon und das Orakel.)
* *
„Des Menschen ganzes Glück besteht in zweierlei,
Daß ihm gewiß und ungewiß die Zukunft sei."
(Rückert, Weisheit des Brahmanen.)
Verslegelte Briefe.
In der Industrie ist bei Geheimverfahren üblich geworden, sich das zeitliche
Vorrecht für eine spätere Patenterteilung dadurch zu sichern, daß man der Leitung
einer Fachzeitschrift einen versiegelten Brief in Verwahrung gibt, in
welchem das Verfahren dargelegt wird. Dieser Brief darf späterhin nur mit Zustimmung
des Absenders geöffnet werden.
In der Forschung kann sich nun der Fall ereignen, daß eine gleiche Einrichtung
wünschenswert erscheint. Dies trifft beispielsweise für den Schreiber dieser
Zeilen zu, der deshalb die geehrte Schriftleitung der Z. f. P. gebeten hat, die Verwahrung
solcher versiegelten Briefe zu übernehmen. Für ihn liegt der Fall so,
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