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Zeitschrift für Parapsychologie. 3. Heft. (März 1930.)
daß er durch eine anderweitige, größere Arbeit zur Zeit daran gehindert wird,
eine ihm gewordene Erkenntnis bzw. Entdeckung so weit zu verfolgen, um sie
in naher Zeit der Oeffentlichkeit im Druck vorlegen zu können. Da er nun besorgen
müßte, daß ihm das zeitliche Vorrecht an dieser Entdeckung verlorengehen
könnte, welches Vorrecht in diesem Falle allerdings nur einen idealen
Wert hat, möchte er von einer solchen Einrichtung Gebrauch machen.
Vielleicht befinden sich Mitforscher auf dem Gebiete der Parapsychologie aus
anderen Gründen in einer ähnlichen Lage, so daß auch ihnen mit dieser Einrichtung
, die der geehrten Schriftleitung gedankt werden muß, gedient sein kann.
D. Walter Graz.
Mitteilung der Schriftleitung.
Bei uns liegt seit dem 10. September 1929 ein versiegelter Brief mit einem
Beitrag von D. Walter (Graz) zur Psychologie der Sinneswahrnehmungen. S.
Neuauflage des Prozesses Aigner—v. Lama.
Mitte April vorigen Jahres ist, wie seinerzeit gemeldet, vor dem Münchener
Amtsgericht eine Beleidigungsklage und Widerklage zwischen dem Arzt Dr. Aigner
und dem Schriftsteller Ritter v. Lama verhandelt worden. Aigner griff
v. Lama außerordentlich heftig in einem Aufsatz, der überschrieben war „Wunder
von Konnersreuth", an und warf dem Verfasser tendenziöse Wundersucht,
mangelhafte Gewissenhaftigkeit und ähnliche Dinge vor. v. Lama antwortete
in einem Artikel im „Bayerischen Kurier", er nehme Aigner als Wissenschaftler
nicht ernst und betrachte ihn nicht als ehrlichen Gegner, deshalb gehe er auf seine
Angriffe nicht weiter ein. Aigner stellte Beleidigungsklage, und v. Lama erhob
daraufhin Widerklage. Das Gericht verurteilte v. Lama zu 300 Mark und Aigner
zu 200 Mark Geldstrafe. Beide Parteien hatten Berufung eingelegt, die nun vor
der 3. Strafkammer des Amtsgerichts in München verhandelt wurde. Das Gericht
kam in später Abendstunde zu dem Ergebnis, daß es die Berufung verwarf, so
daß es bei dem Urteil vom April vorigen Jahres bleibt.
In der Verhandlung blieb Aigner bei seinem durchaus ablehnenden Standpunkt
zu Konnersreuth und erklärte, die Stigmata der Therese Neumann seien
wohl zweifellos nicht künstlich beigebracht, aber das Rätsel würde sich in dem
Augenblick lösen, in dem man der Wissenschaft durch genaue Beobachtung
der Patientin Gelegenheit zu einwandfreier Forschung gebe. An die monatelange
Nahrungslosigkeit der Therese Neumann glaubte er erst dann, wenn das Mädchen
durch ein neutrales Institut längere Zeit beobachtet worden sei. Ritter v. Lama
vertrat genau den entgegengesetzten Standpunkt und behauptete, die Wissenschaft
habe mit dieser Angelegenheit überhaupt nichts zu tun, sondern es handele
sich dabei um ein göttliches Wunder.
Bei den Zeugenvernehmungen ergab sich, daß keiner der Zeugen sich ganz
auf einen der beiden extremen Standpunkte stellte. Ein Hauptzeuge war der
frühere langjährige Hauptschriftleiter der „Münchener Neuesten Nachrichten",
Dr. Gerlich, der übrigens Protestant ist. Gerlach hat 61/2 Monate in Konnersreuth
zugebracht und Therese Neumann genau beobachtet. Er schrieb ein zweibändiges
Werk über die Stigmatisierte. Jetzt bekundete* er seine feste Ueber-
zeugung, daß die Stigmata der Therese übernatürlich, und zwar nicht diabolisch,
sondern göttlich bewirkt seien. Der Zeuge Dr. Ewald, außerordentlicher Professor
für Psychiatrie in Erlangen, bekundete im Gerichtssaal übereinstimmend
mit Dr. Aigner, daß kein Wunder vorliege, sondern ein Rätsel, das die Wissenschaft
noch nicht ergründen könne. Heber die Nahrungslosigkeit der Therese
wollte dieser Zeuge keine Meinung äußern, solange der exakten Wissenschaft
nicht Gelegenheit zu gründlicher Untersuchung geboten sei. Der als Zeuge zugezogene
katholische Theologieprofessor Dr. Wunderle (Würzburg) sprach im
Interesse der Kirche den Wunsch aus, man hätte die Therese Neumann in einem
neutralen Krankenhaus beobachten lassen sollen.
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