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Zeitschrift für Parapsychologie. 4. Heft. (Aprii 1930.)
diesem Erlebnis: Die Bestätigung, daß eine große Willenskraft mir innewohnt
und daß es dazu nur einiger Uebung und Schulung bedarf, um diese Naturkräfte
ausnützen zu können. Was ich in diesen 4 Wochen erreichte, ist das:
i. meinen Schlaf kann ich jede Minute beginnen, wenn ich 14 Stunde lang meine
Willenskraft einstelle; Träume jeglicher Art kann ich mir mit Bestimmtheit
suggerieren. Wenigstens habe ich jetzt in der Nacht die Freiheit, Lust und
Vergnügen. Wenn es auch manchmal noch verworrene Bilder gibt, mit der
Zeit müssen sie mehr Klarheit und Form bringen. Ich strebe auf ein Ziel los.
das ich in ein paar Monaten erreichen muß: Das ist Telepathie mit jeder
beliebigen Person. Ab 1. Dezember geht es planmäßig an die Arbeit. Alles,
was erreicht wird, wird in kurzen Zügen zusammengefaßt und niedergeschrieben
. Ich halte es für möglich, daß man durch Willenskraft alles erreichen
kann/' —
Aus dieser Aufzeichnung des Gefangenen spricht allerdings ein unverkennbares
starkes Selbstbewußtsein und jene bei Dilettanten häufig zu treffenden
überspannten Vorstellungen von unbegrenzten Möglichkeiten parapsychischer
Art. Man muß sich auch sofort die Frage stellen: Hat dieser Mann, der wegen
wiederholten Betrugs im Gefängnis saß, nicht die Brandmale betrügerisch hergestellt
, um sich interessant zu machen, um vielleicht in den Augen der Behörde
zu gewinnen? Diese Frage hat sich auch, wie wir unten sehen werden, der untersuchende
Arzt vorgelegt. In seinem ärztlichen Bericht vom 7. November 1928
glaubt Obermedizinalrat N. behaupten zu können, es handle sich „um eine ganz
gewöhnliche, bei hysterischen Personen zuweilen beobachtete sogenannte Stigmatisation
. Der Gefangene macht selbst aus der Sache gar nichts, schläft gut,
hat Appetit und arbeitet wie gewöhnlich. Die ganze Sache ist nicht im mindesten
das Interesse wert, welches anscheinend unter den üblichen Uebertrei-
bungen die Oeffentlichkeit nimmt1). Bemerken muß ich, daß ich nach dem
lokalen Befund am Arme an eine wirkliche hysterische Stigmatisation glaubte,
und daß kein Anhaltspunkt dafür vorliegt, daß etwa die fraglichen Brandblasen
durch den Gefangenen selbst erzeugt sind, z. B. durch Hinhalten des
Armes an den Heizkörper der Zelle oder durch Anwendung einer ätzenden
Flüssigkeit, Salzsäure usw. Gegen eine Verätzung spricht glatt das Fehlen jeden
Schorfes. Die Haut an den blasigen Stellen und in deren Umgebung zeigt
nirgends die charakteristische Verfärbung ins Grau weißliche oder Bräunliche,
wie man es auch bei ganz oberflächlichen Verätzungen durch Eindringen der
Aetzflüssigkeit ins Unterhautzellenge webe bzw. in die tieferen Schichten der
Oberhaut schon bemerkt".
Diesem amtlichen Bericht des Arztes lag das folgende ärztliche Gutachten
bei: „Der Gefangene, welcher bisher psychologisch weder beim Arzte
noch sonst in irgendwelcher Weise aufgefallen ist, wird heute zur Meldung
gebracht wegen eines Vorkommnisses, das er gestern abend in meiner Zelle im
Anschluß an die Lektüre eines Buches über Geistererscheinungen gehabt hat.
Bei der Unterredung mit dem Arzte ist der Gefangene in jeder Hinsicht klar
*) Es waren Gerüchte über das Vorkommnis in der Stadt verbreitet worden
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