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Zeitschrift für Parapsychologie. 4. Heft. (April 1930.)
•an die Kötter*) abzusetzen, während im Herbste die holländischen Planwagen für
weitergehende Bedürfnisse sorgten. Sonst war alles still und ruhig. Die Bewohner
waren von vornherein darauf angewiesen, sich sehr viel mit sich selbst
und mit der Konzentration ihrer Gedanken auf bestimmte Punkte zu befassen,
unter denen naturgemäß die Zukunft die Hauptrolle spielte. Wenn heutzutage
die Gabe des „Zweiten Gesichtes" nicht mehr so verbreitet ist, wie früher, so
liegt das nur daran, daß nach Erschließung des Landes und nach Urbarmachung
der Heide der Verkehr mit seiner nie rastenden Nervosität gegen früher gleichsam
mit dröhnenden Schlägen dahin pulst und die Bewohner nicht mehr zur
Konzentration ihrer Gedanken kommen läßt. Beim Spökenkieken sind alle
Fälle gleichartig gelagert. Vorbedingung ist immer, daß der Betreffende seine
Gedanken auf einen bestimmten Punkt konzentriert. Er verfällt hierdurch vorübergehend
in einen Trancezustand, der ihn befähigt, okkulte Wahrnehmungen
zu machen. Doch nicht hiervon soll heute die Rede sein, sondern von einer
anderen damit im Zusammenhange stehenden Erscheinung.
Alle mit der Gabe des „Zweiten Gesichtes" Behafteten hatten, soweit bekannt
, auch die Gabe des „Wassertretens". Es ist das die Veranlagung, über
größere Wasserflächen hinwegschreiten zu können, ohne unterzusinken. Auch
beim Wassertreten liegen die Fälle alle gleichartig. Ich möchte daher nur einen
typischen Fall hervorheben, den ich persönlich miterlebt habe, und der deutlich
zeigt, wie das Phänomen zustande kam. Ein großer ausgedehnter Fischteich
sollte vor etwa 40 Jahren abgefischt werden. Mir war das Steuer eines Bootes
anvertraut und zur Bedienung des Schleppnetzes war mir der „Alte Bernd"
beigegeben. Es war dieses ein alter Kötter des Hofes, Mitte der sechziger Jahre,
der etwa 10 Minuten entfernt ein kleines Häuschen schon seit seiner frühesten
Jugend bewohnte und auf dem Hofe arbeitete. Er war still und ruhig und lebte
in sich versonnen nur seiner Familie und seinen Dienstobliegenheiten. Allgemein
war es bekannt, daß „Vater Bernd" in ausgedehntem Maße die Gabe des Spöken-
kiekens besaß und schon die seltsamsten Dinge vorausgesagt hatte. Aber er
sollte, wie man sagte, auch die Gabe des „Wassertretens" besitzen. Der Teich
hatte eine Tiefe von durchschnittlich etwa anderthalb Metern. Während der
Arbeit fragte ich ihn, ob er mir nicht einmal das „Wassertreten" zeigen wolle,
da ich mich sehr dafür interessiere. Er antwortete, daß er sich heute nicht ganz
wohl fühle und etwas Kopfschmerzen habe. Aus diesem Grunde könne er seine
Gedanken nicht in dem erforderlichen Maße konzentrieren, sonst wäre er zu
dieser Probe sehr gern bereit. Am folgenden Tage erinnerte ich ihn auf dem
Wasser an sein Versprechen, worauf er sich sofort einverstanden erklärte. Er
zog seine Schuhe an, die er während der Arbeit abgelegt hatte. Dann stand er
im Boote auf und man konnte ihm förmlich ansehen, wie er seine Gedanken konzentrierte
und in eine Art Trancezustand verfiel. Dann schritt er aus dem Boote
heraus etwa zehn Meter weit über das Wasser zum Lande hin. Es sah so aus,
wie wenn seine Füße über die Oberfläche des Wassers dahinglitten. Als ich ihn
fleich darauf wieder an Bord nahm, konnte ich feststellen, daß an den Schuhen
ein Tropfen Wasser vorhanden war. Es ist nun in neuerer Zeit wiederholt
behauptet worden, daß der menschliche Körper im Trancezustande einen Teil
seines Gewichtes verlöre, aber nach Beendigung des Zustandes wieder das alte
frühere Gewicht zeige. Die Gründe dieser auffälligen Erscheinung sind bisher
noch nicht erkannt worden, in ihnen dürfte der Schlüssel zu dem Phänomen zu
suchen sein. Immerhin zeigt es sich deutlich, wie leicht man durch Uebung und
Konzentration der Gedanken in einen gewissen Trancezustand fallen kann.
Wenn von ähnlichen Vorgängen in der Bibel berichtet wird, so z. B. von den
Versuchen des Apostels Petrus über den See Genezareth zu gehen, so drängt
sich einem unwillkürlich der Gedanke auf, daß auch bei diesen Wundern zum
großen Teil eine natürliche Veranlagung mitgewirkt hat, und daß die Leute nur
deshalb etwas als ein Wunder ansahen, weil sie es sich damals nicht erklären
konnten. \
Etwas Aehnliches soll sich übrigens vor einigen Jahren in Italien ereignet
haben. In der Nähe von Foggia in Apulien liegt das kleine Gebirgsdörfchen San
Giovanni Rotondo, in dessen Kloster der stigmatisierte Kapuzinerpater „Padre
!) Unter „Kotten" versteht man in Westfalen einen Bauernhof.
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