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Seeling: Erik Jan Hanussen
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Weltanschauliches und Theoretisches.
Erik Jan Hanussen«
Bericht über seine Hellsehexperimente in Berlin.1)
Von Dr. Otto Seeling.
„Hanussen" hielt im Monat März in der Reichshauptstadt eine Reihe von
Experimentalvorträgen, und zwar im Beethovensaale, der etwa 1200—iöooi
Personen faßt. Der Vortragende nennt sich Graphologe und Hellseher. So
stellt es wenigstens auf dem Programm, das für 20 Pf. im Vortragssaale verkauft
wurde. Vom wissenschaftlichen Standpunkte aus — und nur der kann
ja hier maßgebend sein — ist der Prograimmtext vielfach zu beanstandan.
Von Interesse sind zunächst folgende Sätze aus Seite 1 der Vortragsfolge:
„Diskussionen können unter keinen Umständen zugelassen werden, da
sie meist, als die Meinung eines Einzelnen, den anderen Zuhörern uninteressant
sind, und nur auf Kosten der ohnehin für den Vortrag knapp bemessenen
Zeit möglich wären."
„Für das Gelingen der Experimente kann natürlich nicht garantiert
werden. Es wird vor allem jede Verantwortung abgelehnt für graphologische
oder Hellsehversuche und ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Angaben
des Hellsehers und Graphologen in keiner Beziehung als juristisches Material
in Frage kommen."
Dann folgt die überraschende Mitteilung, daß der Hellseher auch Sprechstunden
abhält, obwohl er doch nach obigem Bekenntnis seine eigenen Angaben
bezüglich der Exaktheit etwas gering bewertet. Die zu Reklamezwecken
abgedruckten Pressenotizen füllen 11/3 Seite. Hier seien zwei Proben wiedergegeben
:
Berliner Börsen-Zeitung: „Diese Leistungen sind nicht zu überbieten, sind
übernatürlich." «
Kairo: „Hanussen ist nicht nur Telepath — er ist auch Detektiv, und
das hat er bewiesen." Bei den Zeitungsstimmen fehlt durchweg die Angabe)
der Jahreszahl und der Nummer der Ausgabe.
Das Programm zählt 9 Abteilungen auf: 1. Telepathie. 2. Graphologie.
3. Das Gomboloy (Kugelsohnur). 4. Faksimilien. 5. Graphologie und Liebe.
6. Das Hellsehen. 7. Das Wunder von Konnersreuth. 8. Television. 9. Die
Wünschelrute.
Die beiden Vorträge, dene,n ich beiwohnte (11 bzw. i5. März) deckten sich
fast vollständig bezüglich der Auswahl der Programmabschnitte wie der einzelnen
Experimente. Beide Male begann der Vortrag mit dem reichlichen akademischen
Viertel; die angekündigte 10-Minuten-Pause währte über die doppelte Zeit,
*) Vgl. auch den Aufsatz: .,Pseudotelepathie und Kriminalistik", von Richard
Dankel (Wien) in Heft 1, Bd. 86 des Archivs für Kriminologie (Febr. 30). Der
Herr Verfasser gibt hier eine authentische Schilderung von der Aufklärung des
bekannten Banknotendiebstahls in einer Wiener Notenbank, welche durch die Beamten
der Kriminalpolizei erfolgte, nicht aber durch Hanussen, wie dieser erklärt
hat Sünner.
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