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Günther: Stigmatisationen, beobachtet an H. Melzer.
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Als erste nahm eine Trancepersönlichkeit vom Medium (Werkzeug) Melzer
Besitz, die wir unter dem Namen „Franz von Assisi" kennen. Da
sie mit etwas hoher Stimme sprach, glaubte ein, unsere Melzer-Sitzungen
zum ersten Male besuchender Herr, ein weibliches Wesen habe gesprochen, und
als nun jene Trancepersönlichkeit das Medium verlassen und eine andere, die
sich Li s s i p a n' nennt, den Körper desselben bezogen hatte, fragte jener
Herr:
..Wer war denn die — Frau - - die vorher gesprochen hat?"
„Lissipan" antwortete: Keine Frau — ein Mönk (Mönch)." -
„Seht" — fuhr sie fort — „des Werkzeugs Hände an."
Dies geschah und es wurden in denselben, und zwar in den beiden Handtellern
stigmatisierte Nägelmale festgestellt. Ein anwesender Arzt, der Ghirurge
Dr. med. Degenhardt, untersuchte diese und stellte im rechten Handteller
nur einen roten Fleck, von der Größe einer Linse etwa, fest, im linken
dagegen eine, wie er sich ausdrückte: „kraterarlig" vertiefte Wunde von gleicher
(iröße, mit geschwollenen Rändern, die aber nach einer halben Stunde etwa,
ebenfalls nur noch als roter Fleck auf der Haut sichtbar, also in dieser Zeit
vollkommen verheilt war.
Der Zweck dieser Erscheinung wurde unserem Verständnis dadurch
näher gebracht, daß Franz von Assisi als der größte und bekannteste
Stigmatisierte gilt, den die Geschichte kennt. Durch jene an Melzer erzeugten
Nägelmale wollte er sich zu erkennen geben, den Beweis liefern, daß
er und kein anderer sich durch das Medium mitteile.
Meyrink schreibt in seinem Büchlein „An der Grenze des Jenseits" auf
Seite /17 folgendes:
„Durch Transfiguration in ein anderes A\ esen, scheint danach das Medium
die Fähigkeiten dieses Wesens vorübergehend zu bekommen, eine Annahme, die
in anderer Hinsicht angewendet, die Stigmatisation christlicher Heiliger in der
.Nachfolge* Ghristi erklären dürfte."
Wenn nun mit letzterer, etwas dunkel gehaltenen Andeutung, etwa gemeint
sein soll, daß Christus selber sich in jedem stigmatisierten Heiligen transfigu-
riere (umwandele), so muß ich bekennen, daß ich diesen Gedanken für absurd
halte.
Meiner Meinung nach entstehen die Stigmata — hier also die W undmale
Christi ~- durch Suggestion (Einflüsterung), und zwar durch Selbsteinflüsterung
odei durch die Einflüsterung eines anderen - Fremdsuggeslion -—.
Die Selbsteinflüsterung geschieht durch den ausgesprochenen, zur Zwangsidee
gewordenen Wunsch, an den Leiden Christi teilhaben zu dürfen. Franz
>on Assisi befand sich während seines Erdenlebens in einem solchen Zustand
. Anders steht es dagegen mit der Therese ^eumann in Konnersreuth
, die, wie ich später noch ausführen weide, jedenfalls durch Fremdsuggestion
die Wundmale erhielt.
Ein dritter Erklärungs\ersuch wäre dann die ,,LTeber tragung von Fähigkeiten
* auf das Medium durch die Transfiguration an sich, wie Meyrink in
oben angeführten Darlegungen meint.
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