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Zeitschrift für Parapsychologie. 7. Heft. (Juli 1930.)
die Mehrzahl von Ihnen dem Okkultismus, wie ich annehme, lebhafte Sympathien
entgegenbringen, herrschen bei den meisten von Ihnen sicherlich stark©
Widerstände gegen die Psychoanalyse. Indem ich diesen Satz ausspreche, habe
ich Sie eigentlich schon ungebeten einer analytischen Betrachtung unterzogen.
Ich könnte nämlich auch sagen: das Interesse für die Parapsychologie läßt
sich in der Regel wohl kaum durchwegs rational begründen, sondern erfährt
eine Verstärkung aus unbewußten Quellen. Unser bewußtes Ich, unsere kulturell
angepaßte, erwachsene Persönlichkeit gestattet aber nicht, daß ein als
peinlich, anstößig oder beschämend empfundener und deswegen ins Unbewußte
verdrängter Inhalt bewußt werde. Und gerade das strebt die Psychoanalyse
an. Dieselben Widerstände stellen sich aber auch bei den meisten
Menschen ein. wenn man ihnen das Verdrängte durch Mitteilung von außen
nahebringt. Die Psychoanalyse hat nun recht eigentlich als erste dieses Kräfte-
spiel zwischen dem bewußten Ich und dem übermächtigen Unbewußten aufgedeckt
und darauf ihr Heilverfahren gegründet, das in der Bewußtmachung
des Unbewußten besteht. Sie hat aber auch dadurch die menschliche Eigenliebe
schwer gekränkt; denn das Ich mußte erkennen, daß es nicht mehr Herr
im eigenen Hause ist, daß sein Thron von den unterirdischen titanischen Mächten
jederzeit gestürzt werden kann. Die Psychoanalyse ist so ein wichtiger
Faktor in dem großen Ernüchterungsprozeß geworden, den ja alle
psychische und historische Entwicklung des Menschen darstellt. Tch will nun
vorläufig nicht untersuchen, welche unbewußten Komplexe mit dem Interesse
für Okkultismus zusammenhängen und welche Gefahren unser Ich in ihrer
Bew ußtmachung erblickt, ich will zunächst bloß auf den von mir schon mehrfach
gebrauchten Ausdruck „das Unbewußte" hinweisen; denn dieser Begriff
spielt in der Lehre von der Psychoanalyse eine zentrale Holle. Es wird, glaube
ich, für das Verständnis meiner heutigen Ausführungen nur förderlich sein,
wenn ich Ihnen einleitend mit wenigen Worten darlege, welchen Sinn die
psychoanalytische Lehre mit dem Ausdruck „Unbewußtes" verbindet.
Für die Generation von Aerzten, aus der der Begründer der Psychoanalyse,
Freud, hervorging, bedeutete das Seelische bloß etwas Nebelhaft-Unbestimmtes,
Mystisches, das an die Zeiten der romantischen Naturphilosophie erinnerte und
dem man am besten aus dem Wege ging, wenn man es auf anatomische, physiologische
oder chemische Momente zurückführte. Indem man also auch den
seel^chen Zusammenhang in die Weltformel des Mechanischen spannte, sicherte
man die Einheitlichkeit des herrschenden physikalischen Weltbildes. Merkwürdige
Phänomene, die diesen Anschauungen allerdings zu widersprechen
schienen, wie die hysterischen Symptome und die Erscheinungen des Hypnotis-
mus, wurden kurzerhand als Simulation oder als experimentell erzeugter
Schwindel erklärt. Aber auch bei den Philosophen fand die Lehre Freuds vom
unbewußten Seelenleben nicht die erwartete freundliche Aufnahme. Denn für
die Philosophen — mit ganz wenigen Ausnahmen — war „bewußt" und
„psychisch" identisch. Was nicht ein Bewußtseinsphänomen war, wurde als
organische Vorbedingung des Psychischen oder als paralleler neurologischer und
zerebraler Vorgang aufgefaßt. So kam es, daß der Begriff des Unbewußt-
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