http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1930/0461
Winterstein: Die Bedeutung der Psychoanalyse für die Parapsychologie. 423
Seelischer» von den Philosophen als widerspruchsvoll und unsinnig ibezeichnet
wurde, aber doch nur deshalb, weil sie von der erst zu beweisenden
Richtigkeit ihrer eigenen Definition des Seelischen von vornherein überzeugt
waren. Für die Psychoanalyse war jedoch gerade alles Psychische zunächst
unbewußt, die Bewußtseinsqualität konnte dann zum einzelnen seelischen Akt
hinzutreten oder auch wegbleiben. Diese Anschauung erwuchs aus der Erfahrung
am pathologischen Material, das die Philosophen nicht -kannten; die
Analyse hysterischer und zwangsneurotischer Symptome hatte nämlich die mächtige
Wirksamkeit von unbewußten Vorstellungen und Regungen erwiesen,
deren Vorhandensein man zwar nicht unmittelbar beobachten konnte, aber
indirekt erschließen mußte aus Wirkungen, die von den unbewußten Vorgängen
auf das Bewußtsein ausgehen. Im Gegensatz zu diesen latenten
Gedanken, die trotz ihrer Intensität und Wirksamkeit nicht ins Bewußtsein
gelangen, heißen wir Psychoanalytiker gewisse andere latente Gedanken, die
gleichsam bloß infolge ihrer Schwäche ins Unbewußte hinabsinken, jedoch jederzeit
wieder im Bewußtsein erscheinen können, bewußtseinsfähig sind,
vorbewußt.
Die Deutung des Traumes, Freuds epochemachende Tat in der Geschichte
der Psychologie, ließ ihn dann auch die eigentümlichen Gesetze erkennen, die
das unbewußte Seelenleben beherrschen und die sich beträchtlich von denem
der bewußten Seelentätigkeit unterscheiden. An diese Feststellung knüpft sein
Versuch an, sich den seelischen Apparat aus einer Anzahl von Systemen oder
Instanzen aufgebaut zu denken. Das erste, älteste System, dessen Kennzeichen,
darin besteht, daß die einzelnen Vorgänge, die es zusammensetzen, unbewußt
sind, nennt er das „Unbewußte". „Unbewußt** bedeutet also nicht nur in deskriptivem
und dynamischem Sinn eine rätselhafte Eigentümlichkeit
eines bestimmten psychischen Vorganges, sondern ist auch ein Anzeichen dafür,
daß dieser Vorgang zu einem ganz charakteristischen System psychischer
Tätigkeit gehört, das wir gleichfalls in Ermanglung eines besseren Ausdruckes
das Unbewußte nennen.
Wer die Analyse, die eine ganz bestimmte, zwischen Kunst und Wissenschaft
schwebende, recht heikle Technik voraussetzt, nicht selber an sich erfahren
oder bei einem andern ausgeübt hat, wird vielleicht trotz meiner theoretischen
Erörterungen noch immer nicht an die Wirksamkeit des Unbewußten
glauben wollen. Es gibt aber ein wohlbekanntes Experiment, eine künstlich/
geschaffene Tatsache, die die dynamische Auffassung des Unbewußten
in augenfälliger Weise nahegelegt; ich meine die posthypnotische
Suggestion. Nehmen wir an, die hypnotisierte Person hätte von dem
hypnotisierenden Arzt in der Hypnose den Auftrag erhalten, am nächsten Tag
zu einer bestimmten Stunde eine bestimmte Handlung auszuführen. Nach
dem Erwachen ist die Versuchsperson bei vollem Bewußtsein, so wie gewöhnlich;
eine Erinnerung an den hypnotischen Zustand besteht nicht. Trotzdem wird
sich am nächsten Tag zu der angegebenen Zeit die Betreffende bei vollkommen
klarem Bewußtsein getrieben fühlen, den Auftrag des Arztes genau auszuführen.
Etwa befragt, weshalb sie das tue, wird sie nicht antworten: „Ich weiß nicht,
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1930/0461