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Winterstein: Die Bedeutung der Psychoanalyse für die Parapsychologk. 427
nichts anderes als das Zeugnis einer einzelnen, eventuell schon als neurotisch
bekannten Person vorliegt. Es kann nun freilich etwas sehr wahrscheinlich
— und doch nicht wahr sein. Anderseits werden auch gehäufte Indizier»
zugunsten der spiritistischen Hypothese noch nicht einen strengen Beweis
ihrer Richtigkeit liefern. Der bekannte parapsychologische Forscher R. T i s c h -
ner hat einmal gesagt: So wenig man sich berechtigt fühlen sollte, auf Grund
eines bloßen Indizienbeweises einen Lebenden zum Tode zu verurteilen, so
sehr sollte man auch zögern, einen Verstorbenen „zum Leben zu verurteilen*'.
Die Psychologie des Unbewußten wurde von Freud und seinen Schülern
auch angewendet, um die Vorliebe für das Geheimnisvolle, Mystische, Ueber-
sinnliche überhaupt aufzuklären, die ein so starkes Motiv für die Beschäftigung
mit dem Okkultismus abgibt. Als eine unbewußte Quelle dieses Interesses
, dieser Sucht zu staunen, hat die Analyse neben anderen bewußten Quellen,
die ich gewiß nicht in Abrede stellen will, jene Neugier erwiesen, die sich in der
Kindheit auf gewisse Teile des Körpers, namentlich der Eltern, ferner auf
die rätselhaften Vorgänge der Zeugung und der Geburt richtete; ferner spielen
hier auch, namentlich bei der Gestaltung jener Vorstellungen, die die Existenz
nach dem Tode betreffen, gewisse neurotische Phantasien eine Rolle,
welche sich mit der Flucht aus der quälenden Realität in den mütterlkjhen)
Schutz, in den leidfreien Zustand vor detr Geburt beschäftigen. Die Dunkelheit
, die bevorzugte Atmosphäre aller okkulten Veranstaltungen, wird hierbei
unbewußt als Symbol der Mutter aufgefaßt. Ich will hier natürlich gar nicht
auf die Frage eingehen, ob die Dunkelheit auch eine objektiv notwendige
Voraussetzung für die Entstehung gewisser okkulter Phänomene darstellt. Von
der neurotischen Einstellung solcher Gefühlsokkultisten, wie
der eben erwähnten, unterscheidet sich aber wohl die Haltung des nüchternen
wissenschaftlichen Parapsychologen (mögen auch die Uebergänge fließend sein),
sie unterscheidet sich auch von der des geschworenen Antiokkultisten, des
„Negativgläubigen' (wie ihn Schrenck-Notzing treffend genannt hat),
dessen Urteilsfähigkeit gleichfalls oft affektiv gehemmt zu sein scheint.
Wenn ich jetzt daran gehe, die eigentlichen Medien und ihre Leistungen
psychoanalytisch zu untersuchen, wird sich ihr Gefühl gewiß gegen die Anwendung
meiner Grundsätze auf diese Personen weniger heftig sträuben.
Denn erstens ist es immer erfreulicher, die Psychoanalyse auf andere angewendet
zu sehen, und zweitens haben auch schon nichtpsychoanalytisohe
Autoren, so vor allem Frederick Myers und Pierre Jane^t, mehrfach
die Aeußerungen der Mediali tat mit Spaltungsvorgängen des Unbewußten
in Verbindung gebracht. Ich will heute nur auf ein Werk mit Nachdrujdk
hinweisen, das immerhin bedeutsame Ansätze zu einer psychoanalytischen Betrachtungsweise
zeigt: es ist die bekannte Arbeit des Genfer Psychologen
Theodore Flournoy „Des Indes ä la planete Mars". Der Untertitel lautet:
„Etüde sur un cas de somnambulisme avec gJossolalie". Der behandelte Fall *)
0 Eine junge Dame, die in einem Genfer Kaufhaus eine höhere Stellung bekleidete
.
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