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Zeitschrift für Parapsychologie. 7. Heft. (Juli 1930.)
ist aus einem spiritistischen Milieu hervorgegangen. Das Medium, das unter
dem Pseudonym Helene Smith eingeführt wird, entwickelte im Trancezustand
neben typtologischen Mitteilungen, Schreibautomatismen, Gesichts- und Gehörshalluzinationen
eine ganze Reihe von Personifikationen: der erste Schutzgeist,
der berühmte französische Dichter Victor Hugo, wurde später von einem
gewissen Leopold verdrängt, der durch suggestive Einflüsse der Umgebung mit
dem Magier und Abenteurer Gagliostro (Josef Balsamo) verschmolz. Dieser
Leopold zeigte sich ihr erst in Visionen, dann inkarnierte er sich in ihr selbst.
Daneben traten noch andere Inkarnationen auf, in denen Helene ganze dramatische
Szenen und Romane erlebte und* darstellte. In einem Zyklus verkörperte
sie die Königin Maria Antoinette von Frankreich, in hinein anderen
die Tochter eines arabischen Scheiks, die einen indischen Fürsten heiratet,
einen dritten Zyklus erlebt das Medium auf dem Planeten Mars, dessen Landschaftsbilder
und Bewohner sie mit visionärer Anschaulichkeit schildert. Auch
gibt sie in Wort und Schrift zahlreiche Proben einer Marssprache. Flournoys
meisterhaft zergliederndem Spürsinn gelang es, alle diese Mitteilungen, die in
Helene Smiths Spiritistenzirkel als Aeußerungen jenseitiger Wesenheiten aufgefaßt
wurden, auf unbewußte Phantasien des Mediums zurückzuführen
und sie so ihres mystischen Charakters zu entkleiden. Die Marssprache
ließ sich als ein vom Unbewußten planmäßig entstelltes Französisch
entziffern, überhaupt fand sich in den Kundgebungen Helenens gar kein
Element, dessen Vorhandensein im Bereiche der Kenntnisse und Fähigkeiten
des Mediums nicht nachgewiesen oder wenigstens wahrscheinlich gemacht
werden konnte. Flournoy hat auch in feinsinniger Weise die Personifikationen
und Zyklen aus Helenes früherer Lebensgeschichte zu erklären versucht. Die
Königinnen- und Fürstinnenträume zeigen als Wunschgemälde Aehnlichkeit mit
den typischen Ehrgeizphantasien nervöser Kinder, die Freud anter dem IN amen
„Familienroman" beschrieben hat; die männlichen Schutzgeister, vor allem
der berühmte „Leopold", verkörpern unverkennbar gewisse Wesensseiten und
Neigungen des Mediums selbst und wären in der Sprache der Psychoanalyse als
symbolische Darstellungen der Vaterimago zu bezeichnen. Daß auch Züge von
Flournoy darin eingegangen sind, ist nicht weiter verwunderlich; denn seine
Stellung ihr gegenüber schuf ihn für ihr Gefühlsleben zu einer Vaterfigur um.
Ich möchte an dieser Stelle ganz allgemein Ihr Augenmerk auf die ero-
tfsche Bedeutung der spiritistischen Personifikationen lenken, die sich oft
ganz unverkennbar in der Art des Verkehrs zwischen dem Medium und dem
Kontrollgeist äußert, besonders bei Eintritt der Phänomene, wo das Medium
sich förmlich einer erotischen Ekstase nähert. Der Kontrollgeist gehört ja in
der Mehrzahl der Fälle einem anderen Geschlecht an als das Medium („Neil"
der Frau Silbert, „John" der Eusapia Palladino) und personifiziert dann entweder
ein Liebesobjekt oder die stark ausgeprägten gegengeschlechtlichen Anteile
des Mediums. Ich kehre jetzt wieder zu Flournoys Medium zurück.
Außer den erwähnten unbewußten Produktionen, denen später noch ähnliche
folgten (ein Uranus-, Mondzyklus u. a.), hat Helene Smith auch telepathische
und Hellseherlebnisse gehabt und sogar manchmal spontane tele-
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