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Winterstein: Die Bedeutung der Psychoanalyse für die Parapsychologie. 431

gar nichts ändert, — daß die Telepathie mit dem Wesen des Traumes nichts
zu tun hat.

Nach der zweiten Auffassung, die innerhalb der Grenzen der Normalpsychologie
bleibt, liegt dem Traume bloß eine unbewußte Gedankenarbeit
zugrunde, die sich etwa folgendermaßen übersetzen ließe: „Heute
ist ja der Tag, an dem die Entbindung eintreten müßte, wenn sich meine
Tochter und ihr Mann wirklich um einen Monat verrechnet haben, wie ich
eigentlich glaube. Und wenn meine erste Frau, die sehr kinderlieb war, noch
lebte, müßten es mindestens Zwillinge sein. Zu diesen (vorbewußten) Traumgedanken
ist dann noch der (unbewußte) Wunsch hinzugetreten, daß keine
andere als die Tochter die zweite Frau des Träumers hätte werden sollen, und
so ist der manifeste Traum entstanden. Ich bitte Sie, selber zu entscheiden,
wieviel Gewicht Sie dieser Art von analytischer Entwertung des okkulten
Charakters beizulegen bereit sind. Völlig befriedigt den in solchen Dingen
Erfahrenen diese zweite Deutung wohl nicht.

Derselbe Träumer will einige Jahrzehnte früher u. a. nachstehendes telepathisches
Erlebnis gehabt haben. Als ihm der Brief böte eines Tages eine
Postkarte überreichte, kam ihm, ohne daß er einen Blick darauf geworfen hatte,
augenblicklich der Gedanke: Es ist die Anzeige vom Tode meines jüngsten
Bruders. Das war auch tatsächlich der Fall. Sein jüngster Bruder war ganz
plötzlich im Elternhause gestorben, obwohl er ein gesunder kräftiger Knabe
gewesen war. Der Berichterstatter selbst weilte damals in der Fremde. Auch
hier verweist der Analytiker zui Motivierung auf den Familienkomplex. Brüderliche
Eifersucht, die dem Rivalen den Tod wünscht, wird in die Tiefen des
Unbewußten verdrängt und kehrt dann im Bewußtsein als Unheilserwartung
wieder. Die Ueberschätzung der seelischen Vorgänge im Affektleben des
nervös Erkrankten hat zur Folge, daß den unbewußten bösen Wünschen gegen
die Mitmenschen (es sind häufig die nächsten Angehörigen) gleichsam die Kraft
zugeschrieben wird, in der äußeren Wirklichkeit in Erfüllung zu gehen. Freud
macht überhaupt darauf aufmerksam, einerseits, wie viele telepathische Ahnungen
sich auf Tod und Todesmöglichkeit beziehen, anderseits, wie viele Neuro-
tiker feindselige Wünsche gegen ihre Verwandten im Unbewußten hegen, und
leitet aus dieser Uebereinstimmung die Berechtigung ab, in Fällen von Todesahnungen
von vornherein eher eine, sagen wir, psychologische Taschenspielerei
als eine wirkliche Telepathieleistung anzunehmen. Aber auch in
anderen Fällen telepathischer Botschaft — ich erinnere Sie nur an den
früher besprochenen Traum — scheint diese Botschaft tatsächlich an Erregungen
geknüpft zu sein, die dem Bereich des Oedipuskom-
p 1 e x e s angehören. Vielleicht fällt Ihnen bei dieser Gelegenheit die von anderen
, nicht-psychoanalytischen Autoren gemachte Beobachtung ein, daß eine
intensive Gefühlsbeziehung zwischen telepathischem Sender und Empfänger das
Zustandekommen der telepathischen Leistungen begünstigt, ja überhaupt erst
ermöglicht. Der Anteil der Psychoanalyse an der Deutung der telepathischen
Phänomene wird sich also nach Freuds Worten darauf beschränken, manche
Unbegreiflichkeiten dieser Phänomene unserem Verständnis näherzubringen

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