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Kritik und Methodik.
Neurose und Paragnosie.
Von Dr. P. A. Dietz, Nervenarzt im Haag, Holland.
Der Artikel des Herrn Kollegen Dr. Werner Achelis, im Märzheft der Zeitschrift
für Parapsychologie 1929, veranlaßt mich, drei Fälle zu l>eschreiben,
bei denen so recht ans Licht kommt, wie eng, wenigstens manchmal, die neurotischen
Elemente in der Psyche und die Fähigkeit zur paragnostischen
Wahrnehmung zusammenhängen. Beide finden sich nicht nur zufällig in einer
einzigen Person zusammen, sondern bedingen einander, nicht so sehr in ihrer
Wesenheit, als vielmehr in der Art und Weise ihrer Phänomenalität. Ich
möchte also keineswegs behaupten, die Paragnosie sei ihrem Wesen nach eine
Art Hysterie, oder auch nur, letztere sei die unumgänglichste Bedingung für
das Auftreten supranormaler Fähigkeiten. Im Gegenteil hebe ich nachdrücklich
als meine Auffassung hervor, nur der vollkommene komplexfreie Mensch
(allerdings in der jetztzeitlichen Realität wohl nie vorkommend) sei einer
Paragnosie fähig, welche der Regelmäßigkeit und Sicherheit der normalen
Wahrnehmung annähernd gleichkomme. Es ist eben keine willkürliche Grille
der fernöstlichen Weisheitslehren, wenn dieselben immer wieder die Forderung
einer vollkommenen Leidenschaftslosigkeit für ihre die magischen Fähigkeiten
anstrebenden Jünger aufstellen.
Aber in den stark verwickelten und in mancher Hinsicht getrübten"
Phänomenen, mit welchen wir Parapsychologen von heute und hier nun einmal
zufrieden sein müssen, spielt der psychische Kompiexbau der mehr oder
weniger neurotischen Individuen eine nicht zu unterschätzende Rolle, mit der
wir durchaus zu rechnen genötigt sind, sobald wir uns um ein tieferes Verständnis
bemühen und uns nicht einfach mit der toten Registrierung merkwürdiger
Tatsachen begnügen wollen.
Der psychische Komplex wirkt zunächst fälschend ein auf die para-
gnostische Apperzeption. Sie vermischt und verquickt die Realität mit den
eigenen Wünschen und Befürchtungen, und entstellt die Tatsachen bis ins
Unendliche. Das heißt aber eben nichts anderes, als daß ein Traum mit dem
paragnotischen Material auf ebendieselbe Weise verfahren wird wie mit den
Tagesresten; sie werden mit verwendet zum Aufbau des manifesten Trauminhalts
. Aber der Wunsch, die Furcht, der Protest, die Machtbestrebungen
machen sich noch auf eine andere Art geltend, diesmal jedoch nicht im negativen
, sondern in einem positivem Sinn, nämlich in der Auswahl der para-
gnostisch zu vermittelnden Tatsachen. Alle die genannten seelischen Regungen
bestimmen nicht nur das normalbewußte, sondern auch das paragnostische Interesse
. Sic sind sozusagen Tastfäden, mit welchen die Psyche im dunklen Reiche
x) Unter Paragnosie verstehe ich dasselbe, was die Franzosen mit einem
philologisch ganz verwerflichen Ausdruck als Metagnomie, Prübusch in seinem
Aufsatz; Zur Systematik und Nomenklatur in der Parabiologie (Zeitschr. für Paraps.
Dez. 1929) als Paraskopie bezeichnen. Diejetztere Benennung ist an sich ganz
richtig, aber zu eng gefaßt, weil nur für die visuelle Paragnosie zutreffend. Der
Begriff „paragnostischer Traum fällt ganz mit dem „Wahrtraum" zusammen.
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