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Zeilschrift für Parapsychologie. 7. Heft. (Juli 1930 )

des Unbewußten herumtastet, bis sie ein ihnen Entsprechendes berühren und
ins Bereich des Traumbewußtseins herüberziehen.

Der neurotische Seelenzustand verhält sich also sowohl destruktiv als aufbauend
zur Paragnosie: einerseits ein Hindernis für die reine Auffassung des
wirklich Gegebenen, ist er anderseits ein Mittel und Sporn zu dessen Auffassung
überhaupt. Er ist wie der schlechte Jagdhund, der das Wild wittert und jagt,
es dann aber, wenn der Jäger nicht aufpaßt, entstellt bis zur Unförmlichkeit.
Ich kann ein paar Fälle paragnostischer Träume anführen, in welchen sich diese
Beziehungen klar zeigen. Der erste, den ich deshalb ausführlich wiederzugeben
gesonnen bin, stammt aus meiner Praxis, die anderen aus der Literatur.

Eine bei mir seit einigen Monaten in psychanalytischer Behandlung stehende
34jährige unverheiratete frau träumt. Sie befände sich mit einem Manne in
einem Wagen der elektrischen Bahn, der Wagen fährt immer «chneller, erhebt
sich zuletzt vom Boden empor, fliegt in die Höhe, sie könne nicht sagen, ob
in der Art einer Drahtseilbahn oder eines freien Schwebens. Das machte ihr
große Angst; da näherte sich ihr der Mann, umfaßte sie zärtlich, tröstete sie
und sagte, sie solle sich nur nicht fürchten, er wolle ja von nun anbei ihr
bleiben. Da verschwand ihre Angst und sie fühlte sich glücklich."

Der Traum als solcher bedarf kaum einer Deutung in seiner klaren Durchsichtigkeit
; auch die Patientin erkannte ihn sofort als einen in allen Details
durchgeführten errotischen Wunschtraum. Als ich mich nach dem erwähnten
jungen Mann erkundigte, sagte die Patientin, es wäre ihr eben unbegreiflich,
daß sie gerade von ihm so etwas träume; es sei schon Jahre her, daß sie ihm
gesehen. Er habe mit ihr im gleichen Hause (einer Pension) gewohnt; sie
sei aber niemals in näheren Kontakt mit ihm getreten, er war ihr nicht eben
sympathisch, aber auch nicht unsympathisch; ihre Einstellung zu ihm sei ziemlich
neutral gewesen; sie habe auch in den zehn verflossenen Jahren nichts von
ihm gehört, kaum je an ihn gedacht: sein Name sei nie über ihre Lippen
gekommen. Das Rätsel erklärte sich jedoch, als ich mich nach diesem Namen
erkundigte, er hieß Liebermann*) — Lieber — Mann, wie sich zu ihrem eigenen
Erstaunen der Name lesen ließ; und der an sich gleichgültige junge Mensch
entpuppt« sich also bald als ein Symbol der (idealen) Geliebten überhaupt.

^Die junge Dame hatte eben eine Bekanntschaft gemacht, welche heftige Beunruhigung
in ihr hervorgerufen. Sie war eine jener Frauen, welche die
heftig begehrte körperliche Hingabe zugleich als eine fast unerträgliche Erniedrigung
und Schmach empfinden. Ihre voll entwickelte Sinnlichkeit führte
einen heftigen Kampf mit dem in ihr gleichfalls in nicht geringem Grade
herrschenden „männlichen Protest", im Adlerschen Sinne, und dieser Kampf
halle der energischen Frau manche schwere Stunde gekostet und ihr auch in
früheren Verhältnissen manche Enttäuschung gebracht. Da hatte sie die Erkenntnis
gewonnen, nur das unerreichte Ideal einer wahren, ehelichen (das

*) Ein Versprechen hindert mich daran, den wirklichen Namen in der Oeffent-
lichkeit bekannt zu machen; Liebermann ist aber ein dem Sinne nach vollständiges
Aequivalent des holländischen Familiennamens.


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