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Zeitschrift für Parapsychologie. 7. Heft. (Juli 1930.)

kommen, um dort bei reichen Eingeborenen, bei Indern, bei okkult eingestellten
Europäern und an Bord durchreisender Schiffe ihr Gewerbe auszuüben. Ein
Interesse an der Wahrsagerei selbst gewann ich erst im Hafen von Beira, wo
ich Gelegenheit hatte, die Bekanntschaft eines der begabtesten dieser Leute zu
machen, die Bekanntschaft von Lena Singh aus Srinagar in Kaschmir.

Lena Singh, ein feingliedriger, magerer Inder, mit gelber Hautfarbe, einem
kleinen Bart und braunen Rehaugen, unterscheidet sich äußerlich wenig von den
vielen anderen Indern, die an der Ostküste leben. Er gleitet kaum merkbar über
das Deck des Schiffes; an die Brust drückt er ein dunkles Buch, auf welches
zwei helle Hände gezeichnet sind. Der deutsche Südwestafrikaner beschloß
spontan, ihn zu konsultieren. Lena Singh sah sich den Fremden kurz an und
erklärte darauf, daß er bei jedem Menschen ein anderes, individuelles System
anwende. Er schrieb auf je einen Zettel ein paar Zeichen, leicht, flüssig, fast
drucklos geschrieben, die ich nicht zu lesen vermochte. Das eine ähnelte einem
Notenschüssel. Diese Zettel mußte der Südwester in die Tasche stecken und
dann die Zahlen 1 bis 59 aufschreiben. Zunächst schrieb der Aufgeforderte
1 bis 59, aber Lena Singh verlangte ein Aufschreiben der einzelnen Zahlen. Der
Inder sah sich die Einteilung an; der Schreiber hatte die Zahlen in Gruppen zu
je sieben untereinander geschrieben. Lena Singh sah sich die Einteilung an,
begann zu rechnen, sagte aber nichts.

Dann meinte er: „Es hat etwas zu bedeuten, daß Sie die Zahlen in Gruppen
zu sieben bringen, trotzdem 'Sie teilweise Platz zum Weiterschreiben gehabt
hätten. Was wünschen Sie zu wissen?" „Meinen Geburtstag", meinte der Südwester
. „Streichen Sie eine Zahl durch." Der Südwester strich 31 durch. Wieder
rechnete der Inder. „Sie sind im zehnten Monat geboren." „Richtig. Und in
welchem Jahr?" „Streichen Sie eine Zahl durch." Der Aufgeforderte strich
die 11. Nach kurzem Rechnen äußerte Lena Singh: „Im Jahre 1890." „Das ist
richtig."

Die gleichen Daten berechnete er für die abwesende Ehefrau des Fragestellers
und sagte ihm auf das Datum genau, wann er, der Südwester, sein
jetziges Geschäft begonnen habe.

Da eine Mystifikation ausgeschlossen ist — niemand von den Reisegenossen
wußte, daß der Freund den Inder konsultieren werde, und zudem: wer kennt
vom Mitreisenden so genaue Daten? —, war die Auskunft erstaunlich. Der Inder
ging weiter. Er berechnete, wie lange das Ehepaar verheiratet sei und daß sie
ein Kind einen Jungen, hätten.

Nachdem Lena Singh diese Proben seiner Kunst abgegeben hatte, bat er den
Freund, wenn dieser auch die Zukunft zu lösen wünsche, ihm allein in den
Salon des Schiffes zu folgen. Dort sagte der Inder seinem Klienten über schwebende
geschäftliche Dinge, von denen kein Mitreisender wußte, das gleiche, was
bereits der Inder in Suez gesagt hatte. Er sprach so, als ob er absolut in die
Geheimnisse des Südwesters eingeweiht sei. Endlich sagte er dem Klienten,
daß dieser mit 75 lahren krank werden würde, und mit 83 sterben würde, aber
nicht eines natürlichen Todes. Er werde vergiftet werden.

Auf dieses Ereignis werden wir — fast hätte ich geschrieben „leider" —
also noch 45 Jahre warten müssen. Gern hätte auch ich den Inder befragt; was
aSer seine Zukunftsausdeutung anbetrifft, so wies sie einen technischen Fehler
auf, der mir nicht unbeachtlich erschien. Lena verlangte nämlich, daß der Klient
zu Beginn der Zukunftssitzung ein englisches Pfund in das mit beiden Händen
verzierte Buch lege, wo das Pfund natürlich auf Nimmerwiedersehen verschwand.
Da aber ein deutscher Dichter auf Reisen mit seinen Pfunden wuchern muß, so
wollte ich mich, als der Freund über sein Schicksal unterrichtet war, zurückziehen.

Doch plötzlich stand der Inder vor mir und sah mich blinzelnd an. „Sie
wollen Ihre Zukunft nicht wissen?" — „Nein." — „Sie scheuen sich, mir ein
Pfund zu geben." — „Ja. Denn ich brauche es selbst." — „Ich werde Ihnen
alles sagen, und Sie werden mir fünf Pfund in einem Jahr schicken." — „Das
kann ich nicht." — „Doch, dann werden Sie es mit Leichtigkeit können. Wenn
Sie es nicht können, brauchen Sie das Geld nicht zu senden." — „Woher wissen
Sie das?" fragte ich erstaunt, denn plötzlich kam mir der Verdacht, daß diese
Leute gar nicht mit Zahlen, sondern mit Gedankenübertragungen arbeiten. Ich
hatte nämlich im Augenblick gedacht: Ob ich in einem Jahr wohl mit den
englischen Pfunden leichter umgehen kann als heute?


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