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verratenden Stirn der ganz eigenartige Ausdruck dieser ebenso scharf nach
außen beobachtenden als schauend nach innen gerichteten
Augen aufgefallen sein.
Wir treten schließlich in das Zimmer und werden gebeten Platz zu nehmen.
Auf meine Frage, ob ich auch bei der Konsultation meines Freundes zugegen
sein und mitschreiben dürfe, wurde dies von Herrn Moecke bereitwilligst gestattet
. Es störe ihn keineswegs, sei ihm vielmehr sehr angenehm,
wenn seine Aussagen genau protokolliert würden.
Wir wurden beide noch gebeten, zur Beschleunigung des psychischen
Rapportes unsere Namen und Adressen1) sowie einige beliebige Schnörkel oder
Kritzel, ähnlich wie es bei der Tiefenpsychologie gehandhabt wird, in ein Heft
zu schreiben.
Schon während ich selber noch schrieb, fing Moecke bereits an, sich in
zwangloser Weise an Dr. Härlin zu wenden, den er zuerst vornehmen wollte.
Ungeachtet dessen sagte er so nebenbei zu mir, als ich ihm das lieft zurückgab,
daß ich mich gerne mit Kindern beschäftige, mich unlängst auch mit Kinder-
handschriften befaßt habe. (Obgleich mir als ausübendem Graphologen
im allgemeinen gerade die Deutung unentwickelter Kinderschriften ziemlich
ferne lag, hatte ich mich ausnahmsweise gerade in letzter Zeit mit besonderen,
schon sehr frühzeitig in den noch ungeübten Schriften von Kindern auftretenden
individuellen Ausdrucksmerkmalen befaßt. Ich bejahte also kurz.)
Dann äußerte sich Moecke zu Dr. Härlin ohne Besinnen in folgender
Weise: Er müsse wohl Schiffsarzt sein und interessiere sich speziell für medizinische
Fragen, die mit Technischem irgendwie zusammenhängen. (Ohne daß
II. oder ich seinen Beruf bezeichnet hatten: Dr. H. war in der Tat Stabsarzt
der Marine.) Er habe ein besonderes Geschick als Frauenarzt und habe in dieser
Eigenschaft eigentümliche Beobachtungen bei Unterleibsleiden zu verzeichnen.
Die Beobachtungen bezögen sich auf Fälle, denen irgendwelche mechanischen
Ursachen zugrunde lägen. Seine Mutter sei auch unterleibsleidend und im Verhältnis
zu ihren Jahren schon stark gesundheitlich mitgenommen. Der Vater sei
gestorben, und zwar schon vor 5 Jahren. Zwei Jahre vor seinem Tode habe er
bereits eine Art Schlaganfall erlitten. Aus diesem Anlaß habe er sich einen
stärkeren Stock zugelegt, ohne es merken lassen zu wollen. Moecke sehe seine
rechte Hand etwas zittern. Die Hand sei im übrigen auffallend breit gebaut.
Er habe einen großen, breitrandigen Hut getragen und habe seine Barttracht
verschiedentlich geändert. In der letzten Zeit habe er einen ziemlich kurzen,
dünnen Bart getragen. Seine Hüte habe er immer in einer sehr markanten
Weise aufgesetzt. Nach dem Tode des Vaters seien Vorkehrungen zu einer nochmaligen
Ausgrabung getroffen worden. (Hier unterbrach Dr. H., der sich
bisher ziemlich schweigend verhielt, mit der Bemerkung, daß diese Angabe
nicht zutreffe. — Nachträglich jedoch bestätigte Dr. H. mir persönlich diese
Behauptung insofern, daß er sich wenigstens, wie ihm jetzt wieder erinnerlich1
sei, mit dem Gedanken einer Verlegung der Grabstätte seines Vaters getragen
l) ohne Berufsbezeichnung.
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