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Zeitschrift für Parapsychologie. 9. Heft. (September 1930.)
sich jetzt, die Augen wurden nochmals untersucht. Es ließ sich auch jetzt
weder eine Entzündung, noch sonstige rote Stellen, die auf einen künstlichen
Eingriff schließen ließen, feststellen. Ein künstlicher Eingriff wäre bei dieser
Beleuchtung und Kontrolle von seiten der Teilnehmer gänzlich ausgeschlossen
gewesen. Die anderen Sitzungen, die ich mit ihr hatte, verliefen in gleicher
Weise, nur daß sie, entgegen ihren Behauptungen, nach nichts anderem als nach
der Rhapsodie von Liszt mit Erfolg zu tanzen, auch auf andere ernste Stücke,
z. B. „Morgenstimmung" von Grieg, „Ave Maria" von Schubert usw. reagierte.
Die Echtheit dieser Bluttränen konnte ich nach 6 Sitzungen nicht mehr anzweifeln
. Auch die anderen Teilnehmer verbürgen sich dafür. Ich wurde nun
vor die Frage gestellt: Wo ist der Anlaß dieses Geschehens zu suchen?
Eines Abends besuchte mich Frau S. Da gerade an diesem Abend meine
Sekretärin Frl. K. noch anwesend war, kamen wir überein, den Lebenslauf der
Frau S. stenographisch festzuhalten. Sie kam auch dieser Aufforderung sofort
bereitwilligst nach. Hoffte ich doch, dadurch mir wichtige Anhaltspunkte für
ihre Bluttränen zu schaffen. Trotzdem ich den ganzen Lebenslauf zur Veröffentlichung
freibekommen habe, will ich nur das Bemerkenswerteste davon
erwähnen; alles übrige Familiäre und persönlich Belanglose dagegen ausscheiden.
Frau S. sagt: Ich wurde am i. März 1896 in U. geboren. Bis zu meinem
achten Jahre verlief meine Jugend äußerst glücklich. Als ich im neunten
Lebensjahre stand, wurde mir meine Mutter plötzlich durch den Tod entrissen.
Die Jugend war nun getrübt und wie ich bald erfahren sollte, für immer. Mein
Vater heiratete bald wieder und zwar unsere Hausdame, die ich nur unter dem
Namen „Frl. Rosa" kannte. Am Morgen nach der Hochzeit nun sollte ich mich
sofort umstellen und zu Frl. Rosa „Mutter" sagen. Ich, die ich meine Mutter
mit allen Fasern meines Herzens geliebt hatte, konnte es natürlicherweise nicht
so schnell und nannte meine jetzige Mutter zunächst noch bei ihrem Namen.
Die Folge davon war, daß man mich 48 Stunden lang einsperrte., Auch war dem
Mädchen verboten, mir Speisen u. dgl. zu reichen. Die seelische Depression, der
Schmerz um meine Mutter und um all die verlorene Liebe zwangen mich zum
Weinen, und ich weint« als iojähriges Mädchen die ersten blutigen Tränen.
Bis zu meinem 16. Lebensjahre blieb ich zu Hause. Es war ein freude-
und liebeloses Dasein. Ich ging 1912 zu meiner im Jahre 1906 verheirateten
Schwester L. Dort fand ich Erleichterung, indem ich kranken Menschen Hilfe
zuteil werden ließ. Kurz vor dem Kriege verlobte ich mich mit einem Arzt.
Mein Verlobter fiel aber während des Krieges. Ich ging als Pflegerin nach dem
Elsaß in das Lazarett des 119. Infanterie-Regiments. Nach einem Jahre lernte
ich dort einen Wittmann mit drei Kindern kennen. Wir heirateten später.
Dieser Ehe entsprossen zwei Söhne. Es v\ ar dies die denkbar unglücklichste Ehe,
die es gab. Mein Mann unterhielt andere Frauen., Da sein Einkommen dazu
nicht ausreichte, beging er Unterschlagung usw. Kurz, die Ehe wurde geschieden
. Ich war mit meinen Kindern allein ohne Barmittel und ohne alles. Ich
versuchte alles, um mein Leben zu fristen. Meine Eltern hatten die Schulden
meines Mannes bezahlt und sich von mir abgewendet. Eines Tages machte man
mir die Eröffnung, daß nun meine Kinder dein Waisenhaus in K. zugeführt
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