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580 Zeitschrift für Parapsychologie. 9. Heft. (September 1930.)
„Das Mädchen aus der Fremde. Ein Fall von Störung der Persönlichkeit/*
Von Prof. T. K. Oesterreich. )W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1929,
Preis brosch. 7.50 Mark.)
Diese interessante Abhandlung schildert den Fall eines Mädchens, das offenbar
in einem pathologischen Dämmerzustand vor einigen Jahren auf dem Schloßplatz
in Stuttgart mit merkwürdig aufgesteckten Haaren aufgegrifffen wurde.
Das Mädchen verstand angeblich kein Wort Deutsch und sprach eine fremdartige
Sprache, um deren Entzifferung sich mehrere Orientalisten bemühten.
Sie wurde zunächst für eine durch den Krieg verschleppte Orientalin gehalten
und der Fall erregte damals in der Oeffentlichkeit ungeheures Aufsehen. Erst
nach längerer Zeit stellte sich heraus, daß es sich um ein deutsches, in der
Schweiz aufgewachsenes Dienstmädchen handelte, das schon mehrmals in Irrenanstalten
behandelt worden war und auch jetzt auf Grund eines plötzlichen anormalen
Impulses ohne Grund seine Stellung in Ulm verließ und nach Stuttgart
fuhr, wo es monatelang sich als Orientalin gebärdete, eine fremde, selbster-
funde Sprache sprach und eine Art Buddhakultus ausübte. Innere Stimmen ver-
anlaßten sie angeblich zu diesem Verhalten. Sie selbst behauptete nach Abklingen
des Dämmerzustandes, alles sei bewußter Betrug gewesen, doch hält
der Verfasser dies für eine nachträgliche Rationalisierung, vielleicht um einer
Internierung in einem Irrenhaus zu entgehen, wie man dies häufig bei Psychopathen
nach Abklingen der anormalen Phasen findet. Verfasser bemüht sich,
das Ganze auf eine Einfühlung in die Rolle eines fremden (c rientalischen)
Mädchens zurückzuführen, der ein tiefer, schon in der Kindheit nachweisbarer
Wunsch zugrunde liege, als Zigeunerin sorglos in der Welt herumzuziehen und so
allen Mühen und Sorgen ihres Daseins enthoben zu sein. Ob diese Deutung
wirklich zutrifft, läßt sich sehr schwer entscheiden, da es leider nicht möglich
war, das Mädchen in der Hypnose gründlich zu analysieren, was wohl allein eine
wirkliche Klärung gebracht hätte. Dadurch ist auch die Art und Herkunft der
„Stimmen", die sie angeblich zu ihrem Tun veranlaßten, nicht befriedigend
geklärt. Vieles erinnert hier an die als „Besessenheit" behandelten Fälle
von Dr. Wickland (Kalifornien) und Dr. Titus Bull (New York). Leider geht
der Verfasser, obwohl er die diesbezügliche Literatur zweifellos kennt, auf
diese Seite des Falles gar nicht ein. Dr. Gerda W a 11 h e r.
Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie
und Religionswissenschaft. (Verlag Mohr, Tübingen, zweite völlig neu
bearbeitete Auflage 1930.)
Es ist ein erfreuliches Zeichen dafür, daß die Parapsychologie allmählich
auch in die offizielle Wissenschaft eindringt und sich hier einen Platz erobert
hat, von dem sie sich nicht mehr beseitigen läßt, wenn die Herausgeber eines
derartigen Handbuches Prof. T. K. Oesterreich die sachliche und historische
Bearbeitung eines besonderen Abschnittes über „Okkultismus" übertragen
haben. Zunächst wird der Begriff des Okkultismus erläutert, die verschiedenen
Phänomenarten charakterisiert, dann ein kurzer Ueberblick über die
Geschichte des Okkultismus gegeben. Hierauf erfolgt eine Darstellung der
jetzigen wissenschaftlichen Erforschung der okkulten Phänomene in verschiedenen
Ländern (Amerika, England, Frankreich, Polen, Rußland, Italien, Deutschland).
In dem Abschnitt über Deutschland vermißt der Verfasser „die wünschenswerte
Nachuntersuchung der Versuchspersonen" Dr. v. Schrenck-Notzings, eine
Bemerkung, die angesichts der mit keinem Worte erwähnten Nachprüfung und
Bestätigung der Schrenckschen Forschungsergebnisse mit Rudi Schneider durch
Harry Price in London recht merkwürdig anmutet. Es folgt dann noch ein Hinweis
auf die Bedeutung der Parapsychologie für religiöse, strafrechtliche und
schließlich tierpsychologische Probleme, Gebiete, die noch kaum in Angriff
genommmen seien. — A. F. Stolzenburg nimmt noch weltanschaulich
zum Okkultismus Stellung, indem er dessen Kampf gegen den primitiven Materialismus
begrüßt, dagegen dessen angebliche Neigung zu einer monistischen
„Vermischung von Geist und Stoff" (?) ablehnt. Dr. Gerda W a 11 h e r.
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