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eine gewisse Vorliebe für — sadistisch ist ein zu starker Ausdruck ... so etwas
unappetitliche Geschichten .. . richtig Sadismus nicht . .. etwas Blutiges ...
aber nicht sexuell Betontes.
Auf meinen Vorschlag mit Rücksicht auf die noch vorliegenden Proben
abgebrochen.
Ich möchte dazu noch folgendes bemerken: Da ich mit der Möglichkeit eines
psychometrischen Versuchs gerechnet hatte und telepathische Alechanismen ausschließen
wollte, hatte ich selbst von dem Inhalt des Briefes absichtlich nicht
Kenntnis genommen und mir nichts Näheres über die Persönlichkeit des
Schreibers sagen lassen. Bekannt war mir nur, daß es sich um einen bildenden
Künstler von Ruf handele, der nicht mehr lebe. Erst am Tage nach dem Versuch
habe ich festgestellt, inwieweit die Analyse mit den Tatsachen übereinstimmt
. Dabei erfuhr ich, daß der Schreiber, als er den Brief schrieb, ca.
4 2 Jahre gewesen ist und daß er Maler, nicht Plastikei gewesen ist, allerdings
ein Maler, von dem seinerzeit vielfach gesagt wurde, daß er eher Bildhauer
hätte sein sollen. Alles andere stimmt ausnahmslos mit der Wirklichkeit überein
, auch das mit dem Titel (es handelt sich um einen Professor). Insbesondere
treffen die letzten Bemerkungen der Analyse (etwas unappetitliche Geschichten,
fast sadistische Sachen) in sehr eigentümlicher Weise die Wahrheit, wie ich mich
an einigen Arbeiten des Künstlers, die sehr ausgefallene und nicht anders zu
bezeichnende Motive behandeln, überzeugt habe. Man findet ähnliches ja nicht
ganz selten bei Künstlern, aber kaum je so stark betont wie in diesem Falle.
Man muß die Analyse also als durchaus gelungen bezeichnen.
Dennoch möchte ich nicht verhehlen, daß die Versuchsbedingungen in
diesem Falle strengen Ansprüchen nicht genügen. Wie ith nachträglich feststellte
, war aus dem Inhalt des Briefes ersichtlich, daß es sich um einen bildenden
Künstler handelt. \uf der ersten Seite des Briefes findet sich u. a. dm
Wendung ,.reizvoll im Ton' (ein Diskussionsredner schloß daraus, daß che
Worte der Analyse „ein Bildhauer in Ton" damit in Zusammenhang stehen
könnte). Ferner konnte vielleicht am meiner Zwischen frage der Schluß gezogen
werden, daß der Schreiber nicht mehr am Leben sei. In der Tat hat
einer der etwa 20 anwesenden Teilnehmer - aber nur einer - - diesen Schluß
gezogen. Weiteres als dies konnte allerdings durch Kombination nicht erschlossen
werden.
l\. Fall: Geschlossener Brief in undurchsichtigem und unbeschriebenem
Umschlag, von Dr. Kronfeld überreicht. Angabe: 5i Jahre, männlich.
Reimann steckt den Brief uneröffnet vor aller Augen in die Seitentasche
seines Rockes, öffnet den Umschlag, ohne hinzublicken, mit den Fingern der
einen (linken) Hand in der Tasche und reicht den zerknitterten Umschlag dem
Zunächstsitzenden. Danach sieht man ihn an d^m in der Tasche verbliebenen
und nicht sichtbaren Schriftstück herumtasten.
Reimann: Der Mann macht mir den Eindruck des Extremen, des häufig
in schwierigen Lebenslagen Befindlichen. Ich sehe ein^ große Versammlung,
wo der Betreflende selber und hinter ihm noch eine Reihe anderer sprechen:
ähnlich wie im Reichstag oder Schwurgerichtsaal. Seine Rede hat etwas E n-
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