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Schmidt: Experimente mit dem Metagraphologtn Reimann-Prag. 611
Vortrag von Otto Reimann über die Vorgänge, die sich in seinem Innern
bei seinen Leistungen abspielen. Dieser führte u. a. aus:
„Sie dürfen nicht etwa glauben, daß bei Betrachtung einer Schrift sogleich
zwangsläufig Bilder vor meinem geistigen Auge entstehen, welche ich
lediglich zu beschreiben habe; das wäre eine sehr große Erleichterung, aber
auch eine ungeheuere Gefahr für die Qualität der Deutung. Der Vorgang ist
bei mir nicht sehr viel anders als bei den übrigen Graphologen. Auch ich muß
aus Einzelheiten ein Mosaik zusammenstellen, nur mit dem Unterschiede, daß
mir zum Ergreifen der einzelnen Bausteinchen nicht nur nüchterne Regeln,
sondern auch noch eine gewisse parapsychische Fähigkeit zu Gebote steht. Den
Vorgang in mir zu schildern, ist sehr schwer. Denn die menschliche Sprache.,
für primitivere Bedürfnisse bestimmt, bietet dazu nur geringe Handhabe. Ich
will es aber wenigstens versuchen:
Sobald ich eine Schrift betrachtet habe, oder sonstwie in Kontakt mit ihr
getreten bin, versuche ich mich zunächst unabhängig von der schulmäßigen
Graphologie in den Schreiber einzufühlen. Meine Fähigkeit bestellt nun darin,
daß mir dies gewöhnlich auch — auf eine leider mit Worten nicht sehilderbare
Weise — gelingt. Um Ihnen wenigstens einen ungefähren Begriff zu geben:
So wird ein Schauspieler zunächst versuchen, in das Wesen des Menschen einzudringen
, wie er dem Dichter bei der Erschaffimg vorschwebte, und dann
erst wird er an die Ausarbeitung der Einzelheiten schreiten. Sobald ich den
Menschen dann gewissermaßen .habe', steile ich mir rasch Fragen danach, wie
er sich in einigen Situationen wohl betragen dürfte. Ist mir dies gelungen,
scheint die erste Schwierigkeit überwunden, denn. .. Ich will lieber statt dürrer
Worte mich eines mageren Vergleiches bedienen: Durch drei Punkte in einer
Ebene ist eindeutig ein kreis bestimmt, der alle schneidet. Dabei sollen uns die
Punkte drei einzelne, bereits erkannte Charaktereigenschaften symbolisieren,
während der Kreis die Holle des Gesamtbildes des zu .schildernden Menschen
übernimmt. Würde ich sicher \oraussetzen können, daß es «»ich ausnahmslos um
Kreise handelt - ich bleibe beim Beispiel - wäre ich nun imstande, die genaue
Lage eines jeden beliebigen andern Kr<M«piuiktes an/ugeben. d. h. alle übiigin
Charaktereigenschaften /u bezeichnen. Die Menschen sind jedoch viel komplizierter
, sie wurden eher mit unregelmäßigen kurven zu vergleichen sein. Durch
im in besonderes Einfühlungsvermögen vermag ich jedoch bereits von vornherein
die ungefähre Foim der Kurve zu ahnen und es genügen dann \veni»e Punkte,
um sie, also den Menschen, ganz zu bestimmen. Hierbei unterstützen und kon
Irollieren einander Graphologie und parapvv eingehe Fähigkeiten in eigenartiger
Mischung. Und nun kann <li x dritte Stufe der Deutung vor sich gehen meiner
Ansicht noch das schwerste: Das Piojizieren mehr oder weniger exakter Vorstellungen
nach außen, ohne anderes VerständigungFmittel aK die Sprache
Natürlich habe ich ihnen da einen blitzartig sich abspielenden \oignng gewissermaßen
unter der Zeitlupe dargestellt. In Wirklichkeit dauert das Ganze
eine halbe, bis höchstens zwei Minuten, mehr nicht.
\us dieser kurzen Schilderung werden Sie wohl schon entnommen haben,
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