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Zeitschrift für Parapsychologie. 10. Heft. (Oktober 1930.)
worin der Hauptunterschied zwischen schulmäßiger Graphologie und Meta-
graphologie besteht:
Der erstere kann alles, was er zu sagen weiß, beweisen, während der Meta-
graphologe dies nicht immer kann. Dafür gibt aber der Schulgraphologe nur
eine Photographie des Schreibers, während der Metagraphologe ein Porträt des
zu Beschreibenden liefern kann. Der Vergleich stimmt auch insofern, als das
pholographische Abbild auf einmal entsteht, während der Maler das Porträt
aus einzelnen Teilen zusammenzusetzen hat. Wie beim Porträtisten wird auch
für mich das Gesamtbild immer richtiger und deutlicher, je weiter die Deutung
fortschreitet.
Die Vorstellungen, welche icli von dem zu beschreibenden Menschen gewinne
, erscheinen nicht eigentlich als Bilder, sondern vielmehr gleichen dit-e
Erkenntnisse ganz einfach dem Wissen um diese oder jene Tatsache, ein Umstand
, der zur Folge hat, daß ich — der Möglichkeit, Gesehenes zu beschreiben,
beraubt — meist mühevoll nach Worten suchen muß, um meinem Wissen, dem
was ich in des Wortes übertragener Bedeutung erfühlt habe, klaren Ausdruck
zu verleihen. Dieser Nachteil hat auch seine sehr gute Seile, denn er bringt
es mit sich, daß jede Deutung eine neue Mühe wird und verhindert so die Gefahr
einer unerwünschten allzu großen Routine.
Von einem Zustand, den man als Trance bezeichnen könnte, wüßte ich bei
mir selber nichts zu berichten; allerdings wenn mir eine Deutung große Schwierigkeiten
macht, und ich mich infolgedessen sehr intensiv auf meine Arbeit
konzentrieren muß, werde ich für die Einflüsse der Umgebung unempfindlicher
sein; doch ist dies wchi eine allgemeine Begleiterscheinung jeder intensiven
Dcnktäti,gkeit.
Daß Graphologie und Parapsychologie nach vielen, heule bereits komisch
anmutenden Widerständen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden
sind, berechtigt zu der Hoffnung, daß es in absehbarer Zeit möglich sein wird,
Antwort auf die vielen, vorläufig noch völlig ungelösten Fragen zu geben. Die
wichtigste Voraussetzung hierfür scheint jedoch, nichts zu übereilen. Denn, wie
der auch >on mir sehr verehrte Prof. Hans Driesch, Leipzig, mir \or kurzem
als Widmung in ein Erinnerungsbuch schrieb: ,,Je langsamer eine neue Wissenschaft
fortschreitet, um so besser für sie, denn neue Tatsachen können gar
nichl sicher genug festgestellt werden."
t* Bei dem großen Kreis der Teilnehmer wird von rein psychometrischen Versuchen
abgesehen, die gemeinhin erfahrungsgemäß nur in engerem Kreis gelingen
, und nach einer kurzen Pause zur Deutung von Schriften geschritten.
Zu diesem Zwecke sind aus dem Kreis der Teilnehmer eine große Anzahl von
Schriften auf dem Vortragstische niedergelegt, von denen Ileimann wahllos die
eine oder andere herausgreift.
i. Fall. Eine Schrift, von Dr. Neugarten vorgelegt, mit der Angabe:
Mann von ungefähr 5o Jahren.
Reimann: Der Mann wäre 'genial, wenn er selbstbeherrsnhter wäre. Er ist
in jeder Sache weit übers Ziel hinausschießend. Ein Mensch von einer sehr
großen Selbstüberhebung und Selbstüberschätzung . .. andererseits sehr depri-
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