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Bleuler: Vom Okkultismus und seinen Kritiken.
sollen solche Sprechbewegungen andern verständlich werden. Nun ist schon
stimmhaftes Reden bei geschlossenem Munde nur zu kleinem Teile verständlich,
wie die Erfahrung an Geisleskranken zeigt. Wie aber Vokale formiert werden
sollen, ohne daß irgendein Ton in der Mundhöhle resoniert oder ohne daß
durch die Mundhöhle selbst ein Luftstrom geht, wird sich nur der denken
können, der von Schallphysik gar nichts verstehen will.
Ein anderes Mädchen für alles, das das Hellsehen und die Psychometrie ersetzen
soll, die ,.Zentralursache des psychischen Mediumismus", ist bei Bärwald
die Telepathie, das Gedankenlesen ohne Berührung oder sonst eine sinnliche
Uebermittlung und auf beliebige Distanzen und ganz unbewußt. Der Vorgang
soll sogar durch das Unbewußte verschiedener Menschen gehen können, bis
er in dem Gehirn des Mediums zum Ausdruck kommt. A kann dem B einen
Gegenstand in für die Sinne undurchdringlicher Verhüllung geben; B bringt
den Gegenstand dem C, und dieser übergibt ihn dem Medium. Wenn nun das
Medium erfühlt, was für ein Gegenstand es ist, so soll es sich 'nicht um Hellsehen
handeln, sondern B soll unbewußt dem A seine Vorstellung von dem
Inhalt der Schachtel ,»abgezapft' haben, so daß C an ihm die gleiche Abzapfung
\ornehmen und die Vorslelhm«», ohne e«> /u wismmi, dem Medium
übermitteln konnte.
Das wäre für Bärwald deswegen eine ,,natürliche'1 Erklärung, weil er die
Telepathie als ein Phänomen aus der bekannten Welt ansehen will. Er stellt
sich vor, daß die Gedanken eines Menschen via gleichgestimmten Gehirnapparat
die Seele eines andern induzieren können, wie ein elektrischer Strom
einen Induktionsapparat oder wie der Sender das Radio. Es fehlt aber jeder
Beweis einer solchen Möglichkeit; auch wenn eine Ansammlung von Menschen
zu gleichen Gefühlen und Talen hingerissen wird, so sieht man nie etwas,
das übei die bekannten Wirkungen der Suggestion hinaus ginge. Und nun
gar die Telepathie auf große Distanzen, von Australien bis nach England,
woher sollte unser Gehirn die Energie nehmen, die nötig ist, auf solche Entfernungen
noch einen andern Gehirnapparat in Aktion zu setzen? Und wie
soll die Energie an Millionen nahen, zum Teil gleichgestimmten Gehirnen
wirkungslos vorbeigehen, um einige tausend Kilometer weiter ein einzelnes Gehirn
in gleiche Schwingungen zu versetzen? Das ist Okkultismus im falschen
Gewände, aber nicht Physik.
Lud noch eine Schwierigkeit wird übersehen: Eine Mutter sehe telepathisch
plötzlich das Bild ihres Sohnes vor sich, der in fremdem Lande eben
erstochen wurde. Da ist doch der Vorgang in ihrem Gehirne ein ganz anderer
als der im Geiste des Sohnes, der wohl im Sterben an die Mutter denkt.
Der Solln sieht sich nicht in gleicher Weise wie die Mutter
i'h n s i e h t. Er hat z. B. Vngst vor dem Feinde, die Mutter hat Angst
oder Schmer/ um den Sohn. Und er sieht sich selbst gar nicht mehr, wenn
<r tot daliegt. I in die Vorstellung Barwalds zu retten, wüßte ich in einem
solchen Falle nur die höchst unwahrscheinliche Vnnahme, daß die Mutter wirklich
zuerst die Todesangst und die Verwundung und die übrigen Erlebnisse
des Sohnes unmittelbar vor dem Sterben genau wie die^r durchgemacht hätte
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