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660 Zeitschrift für Parapsychologie. 11. Heft. (November 1930.)
— aber unbewußt — dann dieses subjektive und unbewußte Erlebnis in bezug
auf den Sohn in ein objektives umgewandelt und erst dann die Vnsicbt des
Vorganges, wie er sich einem Zuschauer darstellen mußte, ins Bewußtsein
aufgenommen hätte. Dem steht aber unter anderm die Tatsache entgegen,
daß solche Telepathien zwar sehr häufig, aber gar nicht immer, genau zur
Zeit des Unglücks erfolgen, sondern oft etwas nachher, seltener sogar vorher.
Ferner steht dem entgegen, daß jeweilen die Richtigkeit der Einzelheiten im
telepathisch halluzinierten Bilde betont zu werden pflegt, was nicht möglich
wäre, wenn dieses seine Gestaltung durch die rekonstruierende Phantasie der
Mutter erhalten hätte. Gar nicjht selten soll sich auch ein solches Ereignis
durch die körperähnliche Erscheinung des Sterbenden mit Lokalisation im
Vaterhause oder durch seine wirklich halluzinierte Stimme oder durch Stille-
stehen der Uhr, oder irgendwie sonst symbolisch ankündigen: Letzteres
z. B. in dem Falle einer sehr intelligenten Freundin meiner Großmutter, deren
mehrere Söhne, wenn ich mich recht erinnere alle, in der Fremde umgekommen
sind, und sich in der Todesstunde gemeldet haben. Zur Zeit des Todes des
einen erwachte sie in der kritischen Stunde an einem Geräusch, das ihr den Eindruck
machte, >\ie wenn „ein Totenschädel' auf den Boden fallen »md unter ihr
Bett kollern \>ürde. Da wußte sie, daß in dieser Stunde auch dieser Sohn gestorb m
war, was sich dann als richtig erwies. — Gelegentlich kommt es allerdings auch
vor, daß der telepathische Empfänger die gleichen Schmerzen oder irgend
andere Erlebnisse wie der Sender durchzuleben memt; aber bezeichnenderweise
scheint das besonders häufig zu sein bei der Psychometrie, wo an Hand
ciaes Gegenstandes (der nicht einmal sichtbar zu sein braucht) irgendeine Szene
so erlebt wird, wie wenn an Stelle des Gegenstandes ein Mensch die Vorgänge
beobachten würde. Nun ist der Gegenstand kein Mensch mit Sinnen und Vorstellungen
, er hat kein Gehirn, das ein anderes Gehirn induzieren kann, und fes
wird hier etwas induziert, das gar nicht aktuell ist, sondern der Vergangenheit
angehört.
Es ist also auch nichts mit der natürlichen Natur der
Telepathie. Aber wir konstatieren, daß Bärwalds Buch, dessen
Ziel es ist, die Existenz okkulter Phänomene zu bestreiten
, die Tatsachen der Telepathie anerkennen muß, und sich
nur durch den Seitensprung helfen kann, die Telepathie als eine gewöhnliche
physikalische Induktion aufzufassen. Da das in Wirklichkeit nicht angeht, ist
es für die Frage „okkult oder nicht?" unerheblich, ob eine Vorstell ungsüber-
mittiung auf telepathischem oder einem andern okkulten Wege stattfinde; in
jedem Falle wäre gerade durch Bärwakl der Beweis geleistet, daß es neben
unserer bisher gekannten „WoJt" noch etwas anderes gibt.
Ob dann mehr oder weniger solche Erscheinungen beobachtet werden und in
welcher Form, ist gleichgültig.
Auch die direkte Erfahrung zeigt die Zusammengehörigkeit
aller der verschiedenen okkulten Erscheinungen. Telepathie
, Hellsehen, Psychometrie sind im konkreten Falle oft nicht scharf zu
trennen. Und in der Regel bringen die Medien neben ihrer „Spezialität"
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