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Bleuler: Vom Okkultismus und seinen Kritiken.

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Diskutierbar ist die Hypothese von Illusionen und Halluzinationen, die ja
besonders in ungewohnter Beleuchtung auch bei Gesunden möglich sind und
zudem von einem Teilnehmer den andern suggeriert werden können, so daß das
Zeugnis mehrerer Personen an sich noch kein Beweis für Realität einer Wahrnehmung
ist. Das kann aber nur für einzelne., relativ seltene Fälle in Betracht
kommen, z. B. für Lichterscheinungen und für Ektoplasmen, Dinge, die oft
bei ungünstiger Beleuchtung und nur flüchtig gesehen werden. Wie will man
aber in andern Fällen von Halluzinationen reden, wenn man nach der Sitzung
im hellen Licht die geworfenen oder verschobenen Gegenstände da findet, wo
man sie in der Sitzung hat hinkommen sehen? Oder wenn das Papier in der
Schreibmaschine beschrieben worden ist?

So wird die zunächst jedem auffallende Unwahrscheinlichkeit der Existenz
von Okkultismen durch die Unmöglichkeit plausibler anderer Erklärung der
Erscheinungen sehr erheblich vermindert. Umgekehrt erweisen sich die Gründe,
warum man von vornherein geneigt ist, den Okkultismus abzulehnen, bei genauerem
Zusehen als gar nicht so gewichtig, wie es auf den ersten Blick scheint.

Viele erklären als selbstverständlich das Bestehen okkulter Phänomene für
unmöglich, Bescheidenere wenigstens für höchst unwahrscheinlich. In Wirklichkeit
ist jedoch das höchst unwahrscheinlich, daß wir, endliche Menschen, mit
unsern fünf Sinnen gerade heute alles wissen, was vorkommt; nach Analogie
mit andern Geschöpfen, dij weniger Sinne haben, und solchen, die Fähigkeiten
besitzen, die uns fehlen, wie die Orientierung der Tauben auf Tausende von
Kilometern im unbekannten Raum, und überhaupt, wenn man nicht den Hochmut
hat, sich selbst als wirklich gottähnlich vorzustellen, muß man annehmen,
daß wir nur über einen kleinen Teil der Welt orientiert sind, und auch über
diesen nur sehr unvollkommen. Die Welt wird ja auch in bezug auf die Zusammenhänge
der Kräfte nicht endlich sein.

Daß man dennoch ohne genauere Ueberlegung auch da, wo die Umstände
dagegen sprechen, nur mit der gewöhnlichen Welt rechnet, bat außer der in der
Konsequenz der natürlichen" Erfahrungen liegenden llichtunggebung noch
einen psychologischen Grund. Die einfache Gewöhnung an das, was uns beständig
umgibt, verleiht den Vorstellungen der gewöhnlichen Geschehnisse ein
größeres Gewicht, als ihnen zukommt. Wir erfahren z. B. beständig, daß die
Gegenstände ,,nach unten" fallen oder streben. Dabei ist ,,unten" dem natürlichen
Menschen eine absolute Richtung im Weltall, die überall parallel läuft.
Nun weiß der gebildete Kulturmensch — aber nur dieser — seit einigen hundert
Jahren, daß „unten" eine relative und für uns gegen den Mittelpunkt der
Erde hinzielende Richtung bedeutet. Aber die neue Erkenntnis hatte große
Mühe sich durchzusetzen, und auch bei uns gibt es noch Leute, die sich nicht
vorstellen können, daß die Erde eine Kugel sei, weil ja sonst das Wasser „hinunterlaufen
" müßte. Die Verstellung des Zusammenhanges der Okkultismen
mit den bekannten Naturkräften ist uns aber nicht nur schwer, sondern gjanz
immöglich, und wir empfinden infolge unserer sonstigen gewöhnlichen Erfahrung
kausaler Zusammenhänge das Fehlen derselben als eine unangenehme
Lücke, die wir auszufüllen streben.


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