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674 Zeitschrift für Parapsychologie. 11. Heft. (November 1930.)
Lnmöglich sollen die Okkultismen geradezu sein, weil sie im Widerspruch
stehen mit den Naturgesetzen. Aber kennen wir denn alle Naturgesetze, und
wissen wir, wie die, die wir kennen, unter allen möglichen Verhältnissen wirken
? Sollten einmal die Beweise für die Realität der Okkultismen allgemeiner
anerkannt werden, so würde auf einmal kein „Widerspruch" mehr empfunden:
Wir würden dann die Gesetze, die ja von uns formuliert sind, um bisher unbekannte
vermehren oder soweit anders ausdrücken, daß sie diese Erscheinungen
auch umfassen.
Und nun der Einwand des Betruges. Auch er bekommt sein anderes Gesicht
, wenn wir genauer zusehen, nicht nur, weil das moderne Experiment sich
nach Möglichkeit anstrengt, den Betrug auszuschließen, sondern auch weil
das so häufige Vorkommen von Betrug auch vom okkultistischen Standpunkt
aus begreiflich wird. Es ist auch dem Normalmenschen psychologisch ohne weiteres
verständlich, wenn auch ein wirkliches Äledium, dessen mediale Kraft abgenommen
hat oder gerade einmal vorübergehend aus zufälligen Gründen versagt
, eine Vorstellung, von der Prestige und Geldeinnahme abhängen, nicht will
verunglücken lassen, und sich so gut als eben möglich auf irgendeine andere
Weise zu helfen sucht. Ich nehme aber mit anderen an, daß ein erheblicher
Teil der Mogeleien wirklich zum Bilde gehört in dem Sinne, daß das Medium
/. B. bei der gewünschten, aber nicht eintretenden Bewegung dos Gegenstandes
mit irgendeinem Körperteil nachhilft, wie man im gewöhnlichen Leben sich
nur schwer enthalten kann, dem Zahnarzt nicht in die Zange zu fahren, oder
bei einer schwierigen Aufgabe, die aus irgendwelchen Gründen bloß mit einer
Hand gelöst werden sollte, sich der Benutzung der anderen zu enthalten. Das
ist um so eher anzunehmen, als, wenn es okkulte Phänomene gibt, sie ja der
Direktion durch den bewußten Willen nicht zugänglich sind. Sie hängen mit
abgespaltener oder sonstwie normaler Kontrolle des Ich entzogenen Teilen der
Seele, dem Unbewußten (im weiten Sinne) zusammen. Solche stärkeren Abspaltungen
oder Mängel der Kontrolle bedeuten immer einen Ausnahmezustand,
in welchem die Trennung von dem, was wir von einem anderen Standpunkt aus
einerseits mogeln", andererseits ,nichtige Handlung*' nennen, gar nicht oder
doch in ungenügendem Maße besteht. Es wird einer selbständig gewordenen
Instanz eine Tendenz übermittelt, einen Körper zu bewegen; die Auswahl des
Weges, ob okkult oder mit unseren Gliedern, ist dieser vom Willen nicht direkt
abhängigen Instanz überlassen. So sind denn auch die Medien während der
Aktion meist in einem Trancezustand (ein sehr weiter und nicht sehr klarer
Begriff), also gar nicht in normaler Weise überlegungs-, willens- und handlungsfähig
; sie agieren wie der hirnlose Frosch, der sich mit dem linken Bein
auf der gereizten rechten Seite kratzt, wenn man ihm das sonst dazu gebrauchte
rechte Bein festbindet. So werden denn auch solche Hilfen nicht selten so ausgeführt
, daß sie ohne weiteres bemerkt werden müssen; letzteres sah man z. B.
bei Eusapia Palladino in London, wo sie von verständnislosen Experimentatoren
wie eine Angeklagte behandelt wurde, und ihnen — wohl unbewußt —
damit ihren Widerstand und ihre Verachtung zeigte. Die jeweils mit viel Geräusch
publizierte „Entlarvung" eines oder einiger Tricks ist also schon des-
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