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688 Zeitschrift für Parapsychologie. 11. Heft. (November 1930.)
morbides Interesse nahm. Die Erscheinung wurde von einem gebildeten Zeugen,
einem Gärtner, gesehen, der zufällig jenen Ort passierte und bestimmt nicht
von dem Ableben der Erscheinenden, einer Mrs. Freville, wußte, das Phantom
vielmehr für die Lebende hielt1). — In einem andern Falle wurde das
Phantom eines durch Selbstmord gestorbenen jungen Mannes sukzessiv von
mehreren Zeugen an dem Punkte einer Straße gesehen, an welchem er seiner
Liebsten aufzupassen pflegte, um sie eine Strecke Weges zu begleiten2). —
Solche Fälle scheinen mir des Nachdenkens wohl wert zu sein. Man mag sagen,
daß die Betreffenden zu Lebzeiten, eben durch ihr Interesse an diesen besonderen
Orten, dieselben soz. mit „emotionellen Emanationen" derartig imprägniert
hätten, daß ein Sensitiver, der den Ort passierte, ebendort ihr Bild produzieren
konnte. Merkwürdig nur, daß diese angeblich Sensitiven, außer eben
in diesen Fällen, nie die geringste Andeutung ihrer Sensitivität geliefert haben,
die sie doch sonst zu massenhaftem Psychometrisif»ren von Ortschaften befähigt
haben müßte. Vielmehr sehen sie nur einmal, der Gärtner z. B. ganz ohne
zu ahnen, daß er im Augenblick sich seherisch verhalte, vielmehr in der Meinung
, daß er eine Lebende vor sich habe. Erst Dritte konnten ihn darüber
belehren, daß eben jetzt ein besonderer Grund gegeben war, die Betreffende
an diesem Orte zu sehen, nämlich: daß sie zwei Tage vorher verstorben
war; während ein „Psychometrisieren" des Ortes durch den Gärtner natürlich
ebensogut zu Lebzeiten der Erscheinenden hätte stattfinden können. Wer also
ganz ehrlich urteilt, wird hier den ausschlaggebenden Grund der Erscheinung
eben in die Erscheinende verlegen müssen; dann aber gewinnt der Ort
der Erscheinung die unverkennbare Bedeutung eines Hinweises auf seelische
liegungen: auf ein Interesse, einen Wunsch, innerhalb der Persönlichkeit
der Verstorbenen.
Von solchem Interesse des Verstorbenen an einem bestimmten Ort oder
Schauplatz zu einem Interesse an bestimmten Gegenständen ist nur ein
Schritt; ja in manchen Fällen wird das eine mit dem andern aus naheliegenden
Gründen geradezu zusammenfallen. Talsächlich erscheint das Auftreten von
Spuken nicht selten an Einzelgegenstände gebunden, aber nicht bloß an ihre
Existenz (was ja wieder eine psychometrische Deutung empfehlen könnte),
sondern an ihre Geschichte, ihr Ergehen sozusagen, womit ein Element
des seelischen Reagierens in jene Beziehung zwischen dem Verstorbenen
und^dem Gegenstand hineinkommt. Unter diesen Gegenständen slicht eine*
hervor, der freilich von Natur ein ganz besonderes Verhältnis zum Verstorbenen
hat: nämlich seine sterblichen Ueberreste. Ich will daher hier zunächst
einen Fall dieser Art anführen, der manchen von Ihnen bekannt sein dürfte:
Die merkwürdigen Vorgänge, von denen Dr. H. A. Kinnaman an Prof, Hyslop
berichtete. John W. Kinnaman, sein Bruder Jakob und ein gewisser Adams,
drei befreundete Medizinstudenten, schlössen eines Tages den Pakt, daß, falls
einer von ihnen jung stürbe, er sein Skelett den andern zu Studien zw ecken
*) E. Gurney, F. Myers und F. Podmore, Phantasms of the Living I 212.
2) Journal S. P. R. XII118.
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