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Zeitschrift für Parapsychologie. 11. Heft. (November 1930.)
hypnotischen Zustand versetzten Medium (sog. Somnambulen) aufzuklären,
die in diesem Zustande auf Grund ihrer besonderen hellseherischen Fähigkeiten
zu Ergebnissen kommen wollten. Die Pariser Polizei hat sich vielfach der Hilfe
solcher Hellseher bedient1). Auch in Deutschland hat die Polizei bisher des
öfteren Hellseher zu Rate gezogen. So hat der Berliner Kriminalkommissar
Büsdorf2) wiederholt in schwierigen auswärtigen Prozessen zwei Leipziger
Hellseherinnen verwandt, die in manchen Fällen nach seiner Ansicht zur Aufklärung
der Verbrechen wesentlich beitragen konnten, in anderen wieder völlig
versagten, so etwa in der bekannten Mordsache Schröder, in welcher der Verteidiger
des zuerst festgenommenen Fabrikbesitzers Haas die beiden Leipziger
Hellseherinnen zuzog. Diese beschuldigten aber ebenfalls seinen Mandanten des
Mordes. Später wurde ein Mann namens Schröder als der wirkliche Mörder festgestellt
. Gegenwärtig ist durch einen Runderlaß des preußischen Innenministers
(Ministerialblatt für die innere Verwaltung 1929 Blatt Nr. i5 S. 293) vom
3. l\. 1929 der Polizei die Verwendung von Hellsehern zur Verbrechensaufklärung
verboten worden. Es ist der Polizei lediglich gestattet, den von Hellsehern
angeblich entdeckten Verbrechensspuren selbständig nachzugehen. Einen
entsprechenden Erlaß für die preußische Justizverwaltung gibt es nicht. Auch
Richter, Anwälte und Staatsanwälte haben sich in Kriminalfällen der Hilfe derartiger
Medien bedient. Insbesondere aber in Oesterreich hat man dem Problem
des Okkultismus und Spiritismus in Verbindung mit der Aufklärung von Verbrechen
viel Verständnis entgegengebracht. So hat das Wiener Landgericht für
Strafsachen einen Dr. Thoma, den Leiter des kriminaltelepathischen Instituts
in Wien zum Sachverständigen für Telepathie ernannt. An ihn wandten sich
zahlreiche österreichische Gerichte3), um mit Hilfe seiner Medien Verbrechen
aufzuklären. In Gegenwart von Richtern und Staatsanwälten nahm er spiritistische
Versuche an hypnotisierten Medien vor, die, wie Tartaruga4) ausführt,
von den erstaunlichsten Erfolgen begleitet gewesen sind. Die Versuche wurden
in der Weise ausgeführt, daß Thoma in Gegenwart der Gerichtsperscnen zunächst
diejenigen verhörte, die sich der Hilfe des spiritistischen Mediums bedienen
wollten. Darauf hypnotisierte er das Medium, das nur über Ort und
Zeit des Verbrechens orientiert worden war und sich in einem anderen Zimmer
aufhielt. Dieses gab dann teilweise auf Fragen, teilweise auch selbständig die
näheren Umstände des Verbrechens an.
Die okkultistische Literatur ist seit langem bemüht, die Wahrheit ihrer
Lehren nachzuweisen5). Sie stellt die Behauptung auf, daß es mittels des sog.
räumlichen und des zeitlichen Hellsehens möglich ist, „daß zukünftige Dinge
vorausgesehen oder vergangene, die der Betreffende nicht auf normale Weise
erfahren haben kann, gewußt werden, sowie daß Dinge gesehen werden, die den
0 Süß, Strafrecht und Okkultismus, S. 25 ff.
2) H e 11 w i g, Okkultismus und Strafrechtspflege, S. 21 ff.
8) H e 11 w i g , Okkultismus und Strafrechtspflege, S. 77.
+) Tartaruga, Kriminaltelepathie und Retroskopie, Telepathie und Hellsehen
im Dienste der Kriminalistik, Leipzig 1922.
5) Pally, Zeitschrift für Spiritismus, Bd. 9, S.150. Sulzer (wie oben), S. 1 ff.
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