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Kleine Mitteilungen.
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daß mir ein deutsches Lesebuch mit braunem Deckel abhanden gekommen sei,
auf dessen WiederauffinJung ich wegen gewisser Notizen, die ich in dieses
Buch gemacht hatte, einen gewissen Wert legte. Ich bat sie, sich in Trance zu
versetzen und mir über den Fundort Bericht zu erstatten. Frau Hessel meldete
sich in etwa ein bis zwei Minuten und berichtete folgendes (der Bericht wurde
von mir sofort während des Telephongespräches schriftlich niedergelegt): „Das
Buch liegt in einem Eckzimmer, das nach hinten hinausgeht. Links? (etwa ein
Wort nicht genau zu verstehen). Dort, wo die Dachrinne ist. Es sind Bäume und
ein Garten zu sehen, es befindet sich eine Gardine im Zimmer/' Da mir die
Erwähnung der Dachrinne besonders wertvoll war, forderte ich sie nochmals
auf, die betreffende Angabe zu wiederholen, worauf ich nochmals das Wort
Dachrinne hörte etwa in der Weise: „Dort, wo die Dachrinne ist; oder: Wie es
bei der Dachrinne ist." Andere Angaben sind, worauf ich ausdrücklich hinweise
, von Frau Hessel nicht gemacht worden.
Von diesen Angaben waren zunächst eine ganze Anzahl so allgemein (Garten
, Gardine), daß es sehr schwer war, daraufhin die richtige Stelle ausfindig
zu machen. Sie paßten zunächst für zwei Zimmer meiner Wohnung, nur daß
dabei der Begriff Dachrinne sehr schwer unterzubringen war, man konnte
höchstens geltend machen, daß man von dem einen Zimmer, das aber kein Eckzimmer
war, nach der Dachrinne des gegenüberliegenden Siedlungshauses sehen
kann, von dem anderen Zimmer, das ein Eckzimmer ist, kann man nur das
betreffende Haus sehen, wenn man den Blick ganz seitwärts wendet, so daß
die Dachrinne des betreffenden Hauses, das in einiger Entfernung sichtbar
wird, für das Gesamtbild so gut wie nicht in Betracht kommt (das Bild als
solches enthält eine erzgebirgische Berglandschaft von ziemlicher Ausdehnung).
Ich gab es also schon auf, wieder zu meinem Buche zu kommen, als mir am
andern Vormittag Schüler der Quarta mitteilten, daß sich das Buch in der
hinteren linken Ecke ihres Klassenzimmers gefunden habe, wo ich Unterricht
zu geben hatte und wo es mehrere Tage hinter einem kleinen Schranke gelegen
hatte. Zu diesem Zimmer stimmen nun alle Angaben von Frau Hessel
in auffälliger Weise: 1. Es ist ein Eckzimmer; 2. Das Buch lag in der linken
Ecke; 3. Daneben ist ein Fenster mit einer Schutzgardine 4. Durch das Fenster
sieht man Bäume und Teile des Schulgartens, 5. Das Zimmer geht nach hinten
hinaus, d. h. im Sinne der Großstadt auf eine kleinere Seitenstraße, die Front
der Schule liegt nach einem großen Platz zu; 6. Die untere Außenseite des
Fensters ist mit einer Bleiplatte ausgelegt, wie es bei Mansardenfenstern, an
denen die Dachrinne unten vorbeigeht, der Fall ist, auch die Seiten des Fensters
sind, diese allerdings nur zum Teil, damit eingefaßt, was vom Zimmer aus, da
besonders die untere Außenseite sehr breit ist, bequem sichtbar ist. Man sieht
also, daß sämtliche Angaben, von denen manche für sich ziemlich allgemein
sind, zusammen genommen, stimmen, und daß offenbar ein richtiges Vorstellungsbild
der betreffenden Klassenecke vorliegt, aber auch nur dieses, hätte
Frau Hessel einen größeren Ueberblick gehabt, so hätte sie sehen müssen, daß
das ganze Zimmer voll von Bänken war. Man wird also dem Skeptiker vorhalten
müssen, daß zwar manche Angaben ziemlich allgemein waren, daß aber
die Uebereinstimmung aller, besonders der ziemlich genauen mit der Dachrinne,
doch merkwürdig genug ist, um den Zufall als Erklärungsgrund ausschließen zu
können.
Liegt Telepathie oder Hellsehen vor? Von mir konnte Frau H. den Gedanken
selbst nicht telepathisch entnommen haben, da ich von dem Verbleib des
Buches keine Ahnung hatte; die Erklärung, ich hätte im Unterbewußtsein den
Fundort des Buches behalten, ist sehr zweifelhaft, da ich wahrscheinlich das
Buch habe auf dem Katheder liegen lassen; es wird dann später auf irgendwelche
Weise hinter den Schrank geraten sein. Es bleibt also nur die Erklärung, daß
eine Verbindung zwischen Frau H. und dem betreffenden Schüler bestanden
habe, der das Buch an den Ort gelegt hatte. Frau H. müßte also die Fähigkeit
gehabt haben, unmittelbar nach dem telephonischen Anruf von mir gerade mit
dem Gehirn des Betreffenden in Verbindung zu treten bzw. dessen Schwingungen
(im Sinne dieser Erklärung der Telepathie) aufzufangen. Beides scheinen
mir ziemlich gewagte Behauptungen, für die bis jetzt übrigens kein Beweis
erbracht worden ist; die Annahme eines tartsächlichen Hellsehens in Bildform
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