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704 Zeilschrift für Parapsychologie. 11. Heft. (November 1930.)
(Entsendung des Astralkörpers?) scheint also ails Erklärung näher zu liegen,
so wenig auch sie uns dem Kern der Sache näherbringt.
Die Entfernung zwischen Leipzig und Stollberg beträgt etwa 80 Kilometer.
Zur Frage der Manifestation noch Lebender.
Von Dr. J. Marcinowski Waldhausen-Tübingen.
In der Septembernummer unserer Zeitschrift befindet sich ein kurzer Bericht
über die Kundgebung eines noch Lebenden mit Hilfe eines ihm gänzlich unbekannten
Mediums, einer Kundgebung, von der der Handelnde selbst nichts wußte,
da sie während seines Schlafes getätigt wurde.
Fälle solcher Manifestationen noch lebender Personen sind uns in mannigfacher
Weise und größerer Zahl bereits bekannt und beglaubigt niedergele^:.
Trotzdem ist es nicht überflüssig, unsere Sammlung gut und einwandfrei beobachteter
Tatsachen immer wieder zu vervollständigen, sobald wir irgendwie die
Gelegenheit dazu haben. Ich berichte daher über einen solchen Fall wie folgt:
Der uns befreundete Architekt Herrmann Münz aus Tübingen kommt an
einem böse regnerischen Tage nach Hause und zieht sich am warmen Ofen um.
Als er sich bückt, um sich von den feuchten, kalten Schuhen zu befreien, sieht
er auf einmal die Gestalt einer alten Frau im Zimmer, die augenscheinlich durch
die Tür eingetreten war, ohne daß stich indessen die Tür geöffnet hatte. Er erkennt
säe als die Schwester seiner Großmutter mütterlicherseits, Frau Luise
Zipfheli, mit der er im übrigen nur geringe Fühlung unterhielt, er hatte die alte
Dame nie recht leiden mögen.
Wie lange die Erscheinung dort stand, weiß er nicht recht anzugeben. Es
können Sekunden, es können auch Minuten gewesen sein. Er war keineswegs
erschrocken, wohl aber lebhaft erstaunt, und hatte die Empfindung, daß das
visuelle Bild der Frau irgendwie etwas Unwirkliches an sich hatte oder genauer
ausgedrückt, der visuelle Eindruck war dem subjektiven Empfinden nach irgendwie
von anderer Art, als das gewöhnliche Sehen, so daß Herr Münz die Vorstellung
hatte: „Wäre jetzt noch ein anderer Mensch zugegen, es wäre wohl
zweifelhaft, ob der die Frau auch sehen würde."
Die Frau stand ihm ruhig gegenüber und verschwand ebenso einfach wie sie
gekommen war. Ihr Bild löste sich gleichsam in Nichts auf. sie war eben einfach
nicht mehr da. Zu gleicher Zeit trat in dem Bewußtsein des Herrn Münz dabei
die Vorstellung auf: „Innerhalb von drei Tagen ist die alte Tante tot."
Daraufhin nahm Herr Münz drei Zettel, schrieb auf jeden die Worte: „Innerhalb
von drei Tagen ist Frau Z. tot" — setzte das Datum darunter und seinen
Namen und verschloß jeden Zettel in einem Briefumschlag. Den eimen behielt
er für sich, den andern gab er seiner Frau, und den dritten einem Studenten,
der ihn in seinem Arbeitsraum im forstwissenschaftlichen Institut aufbewahrte.
Der Student, der spätere Forstmeister Theodor Maucher, erhielt dabei den
Auftrag, den Umschlag nicht vor dem dritten Tag zu öffnen.
Am Abend des dritten Tages wurden alle Briefumschläge in Gegenwart des
Herrn Münz geöffnet, und da sich mittlerweile nichts derart ereignet hatte,
wurde er der Gegenstand angeblich sehr berechtigten Spottes. Aber am vierten
Tage traf die mittlerweile gedruckte Todesanzeige ein, daß Frau Luise Zipfheli
fiim Laufe des dritten Tages im Alter von 76 Jahren verschieden sei. Spätere
Nachforschungen ergaben, daß genau zu der Zeit der Erscheinung der alten
Frau Z. in der Tübinger Wohnung ihres Großneffen, die Mutter desselben bei
ihr in ihrer Wohnung Stuttgart, Schloßstr., geweilt hatte. Daß dieser Besuch
auf Grund einer Kränklichkeit erfolgt war, wußte Herr Münz nicht, da er sich
wie gesagt um die alte Dame herzlich wenig zu kümmern pflegte. Die Mutter
berichtete übrigens, daß Frau Z. gelegentlich dieses Besuchs in einen totenähnlichen
Schlaf verfallen sei. Im übrigen wäre aber von dem Berichterstatter,
Herrn M., an jenem Tage nicht die Rede gewesen. —
Zu dem Ereignis selbst ist innerhalb unseres Leserkreises wenig zu sagen.
Daß die Loslösung doppelgängerischer oder ffuidaler Bildungen im Tiefschlaf
erfolgen, sind wir gewohnt zu hören. Auch daß die Art unseres Wahrnehmens
solchen Gebilden gegenüber irgendwie von der gewohnten Sinnesempfindung
abweiche, diese Aussage taucht bei ruhigen, sachlich klaren Beobachtern immer
wieder auf. Desgleichen unmittelbares Wissen, also Bewußtseinsinhalte, die
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