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Zwölftes Heft
Dezember 1930
Experimentelles.
Die phänomenale psychometrische Begabung des Herrn
Otto Reimann aus Prag.
Mit Abbildung.
Von Dr. Paul Sünner, Berlin.
Im Anschluß an den im Oktoberheft veröffentlichten Aufsatz über die
Experimente mit dem Metagraphologen, Herrn Otto Keimann aus Prag
möchte ich im Nachstehenden noch einige Versuche wiedergeben, die ich während
seines damaligen Berliner Aufenthalts mit Herrn Reimann anzustellen
Gelegenheit hatte.
Da ich an der ersten Experimentalsitzung in einem kleinen Kreise der
hiesigen ärztlichen Gesellschaft nicht teilnehmen konnte, lernte ich Herrn
Reimann erst an dem großen Demonstrationsabend im „Rheingold'*, am
17. Februar kennen, über dessen guten Erfolg unsere Leser ja bereits unterrichtet
worden sind.
Herr Reimann folgte einer Einladung zum Tee auf meiner Wohnung am
Mittwoch, den 19. Februar, wo außer meiner Frau nur noch eine Dame,
Frau L. anwesend war. Während dann die Damen zunächst allein blieben, begab
ich mich mit Herrn Reimann in mein Arbeitszimmer, wo ich einige Gegenstände
und Schriftproben vorbereitet hatte, deren jede einzelne ich der Reihe
nach vorlegte.
Bekanntlich verfügt Herr Reimann in ausgesprochenem Maße über die Art
des Ilellsehens, die man mit Psychometrie bezeichnet. Bei seiner geistigen
Schau vermittelt in der Regel eine Schriftprobe die außersinnliche Verbindung
zu der Person des Schreibers, von der Herr Reimann dann alsbald eine fast
nie versagende körperliche und seelische Charakterisierung nebst nahezu verblüffenden
Details aus dessen Daseins- oder Erlebniswelt zu geben vermag.
Ich muß besonders betonen, daß Herr Reimann bei den nachstehenden
Experimenten, was ich bei unserem Alleinsein besonders gut beobachten konnte,
nie den Versuch machte, den Inhalt des Vorgelegten zu lesen oder zu entziffern.
Es genügte oft ein flüchtiger Blick auf die Schriftprobe, ja ein leises Berühren
derselben mit der Hand, um ihn schon zu einer Stellungnahme zu befähigen
.
Auf seine Unterscheidung von Frau Plaat, mit der ich ja eine größere
Reihe \on Versuchen angestellt habe, die ich in einer Gesamtdarstellung veröffentlichte
i), ist bereits hingewiesen worden. Herr Reimann vermeidet im
') Die psychometrische Begabung der Frau Lotte Plaat nebst Beiträgen zur
Frage der Psychometrie. Verlag O. Mutze, Leipzig 1928. Preis M. 4.—.
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