http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1930/0772
714 Zeitschrift für Parapsychologie. 12. Heft. (Dezember 1930.)
Zehnter Versuch.
Eine Ansichtskarte, deren Adressenseite mit der Schriftprobe nach oben
liegt, deren Ansicht also nicht sichtbar ist. Sie wurde auch nicht von Herrn R.
angefaßt oder hochgehoben, so daß er keinerlei Hinweis auf die Persönlichkeit
haben konnte. — Herr 11. begann: ,,Das ist ein durchaus begabter Mensch."
11. macht dann in der Luft mit der Hand allerhand Bewegungen. „Ist
er vielleicht Musiker? Oder Dirigent? Das ist ein sehr bekannter Mann, den
man nicht mit seinem Namen anspricht, sondern mit einem Titel. Vielleicht
,Meister* oder so; jedenfalls nicht ,Herr\ Es ist ein ausgefallener Titel:
,Professor, Rat, Chevalier* oder ein anderer Titel »Exzellenz' — ,Fürst'l —
Er hat große Augen, etwas Kopfweh, einen Kinnbart. Er ist blasiert. Er
hat vorn Glatze, hohe Stirn, und dann so wenig Haare wie ,Sardinen\ Er hat
so charakteristische Bewegungen. Seine Stimme ist nasal, ein bißchen hell
und etwas langsam. Er hat einen kleinen Sprachfehler für meinen Begriff.
Ich will Ihnen seinen Gang zeigen." Herr R. geht dann durchs Zimmer und
macht den absolut charakteristischen Gang nach, weil der Betreffende von
einem alten Knieleiden eine Schwäche des einen Beines hat. „Beim Handkuß
steht er den Damen so gegenüber. Er steht etwas steif gegenüber und
reicht nicht die Hand, macht nur eine Verbeugung." Herr R. ahmt dann
noch einige charakteristische Posen nach. — Auf meine Frage, welches
Instrument spielt der betreffende Herr, antwortet Reimann: „Er spielt
Cello*' — „Besonders aber fällt mir auf, er hinkt etwas und hat etwas
steifes Bein.4'
Erklärung
Es handelt sich um eine Karte aus Bad Gastein, vom August 1928, \on
der Königlichen Hoheit, Prinz Joachim Albrecht von Preußen, dessen Schrift
Herrn R. vorher nicht bekannt war und die er auch vor meinen Augen (ebensowenig
\\ie bei den vorhergehenden Versuchen) nicht zu erkennen oder
zu lesen den Versuch machte. — Den Genannten, dessen musikalische Begabung
und Künstlerschaft in weiten Kreisen bekannt sind, lernte ich im
damaligen Sommer in Gaslein kennen, wo ich ihn auch einmal während eines
Konzertes des Kur-Orcheslers als Dirigent desselben wirken sah. — Die
Schilderung ist außerordentlich zutreffend. Besonders ist das Charakteristikum
der Musikalität, des Cellospielens, sehr genau getroffen. Von Interesse
ist auch, wie R. sich bezüglich des Titels und der Anrede allmählich bis zu
„Fürst'* durchfühlte. — Auf der Rückseite der Karte, die meiner besonderen
Anweisung gemäß dieses Mal nicht aufgehoben wurde, befindet sich das
farbig wiedergegebene Porträt des Genannten, ein Brustbild. Die link© Hand
drückt die Saiten am Halse eines Cellosl). Das Aeußere, der Gang, die Sprache,.
*) Der skeotische Leser wird hier behaupten, daß also doch wohl ein Anschauen der Unterseite
der Karte stattgefunden habe, was die präzise Angabe mancher zutreffenden Einzelheit erkläre. Demgegenüber
kann ich bestimmt versichern, daß dies absolut nicht der Fall war, da ich Herrn R., der
sich dicht vor mir befand, auch wenn ich mir Notizen machte, gleichwohl unausgesetzt beobachtete.
Aber selbst einmal den Fall zugegeben, Herr R. habe die Karte angeschaut, und so das Aeußere
exakt zu schildern vermocht, wie will man dann die übrigen genauen Angaben. „Fürst, Dirigent"
oder die bezüglich des Ganges und der Haltung erklären, die doch nicht an einem Brustbild ab«
geltsen werden können? Wie man sieht, ist es wohl nichts mit dem obigen Einwand der Skeptiker
, für die Bleuler den schönen Ausdruck „Neingläubige" prägte. S.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1930/0772