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752 Zeitschrift für Parapsychologie. 12. Heft. (Dezember 1930.)
raben auf eine Spur zu kommen. Dann resignierte er. In vielen Fällen geben
die Berge ihre Opfer nicht mehr heraus. Nichts zu tun dagegen. Seit der verhängnisvollen
Bergtour des Herrn Pallitsch waren drei Wochen \ ergangen.
Da kommt am 17. September der Postbote und bringt zu Herrn Reindl eine
Karte, die den schon vergessenen Fall mit einem Mal wieder in den Mittelpunkt
der Ereignisse rückt. Auf der Karte steht folgendes:
„Geehrter Herr Reindl! Ich habe heute nacht einen Traum gehabt, in
dem ich die Stelle, wo mein toter Mann liegt, genau sah. Mein Mann liegt
auf einem grünen Flecken neben einem Wassergumpen, dort, wo sich die
Kramerlahne und die Beilahne treffen. Bitte suchen Sie doch sofort an dieser
Stelle nach. Frau Else Pallitsch."
Woher wußte denn Frau Pallitsch etwas von einer Kramerlahne und Beilahne,
zwei Wildbächen, die nur der ortskundige Alpinist kannte? Wie konnte sie
wissen, daß diese Bäche zusammentreffen, da sie doch nie auf einem Berg war
und sich für solche Dinge nie interessiert hat? Das war denn doch reichlich
rätselhaft. Bei den früheren Forschungen hatte man nie diesen Punkt berührt.
Daß die Leiche des Verunglückten sich dort befand, war im übrigen höchst unwahrscheinlich
, da es sich nach den Angaben um eine ganz abgelegene Stelle
handelte, die weit von jedem Pfad entfernt ist und seihst von den Bergführern
kaum vorher betreten wurde.
Zu gleicher Zeit erhielt auch die Gendarmeriestation in Untergrainau eine
Postkarte. Sie war ebenfalls aus Chemnit7, geschrieben von Frau Pallitsch. Darauf
stand:
„Durch einen bekannten Herrn erfahre ich die mutmaßliche Stelle, wo
mein Mann verunglückt ist. Bitte suchen Sie ..." Te>t im übrigen gleich
der anderen Karte.
Der Kommandant benachrichtigte eilfertig seine vorgesetzte Behörde, während
Reindl still auf den Kramer stieg.
Am Zusammenfluß der Kramerlahne und der Bdiahne, halb in einem Wassergumpen
, halb auf einem grünen Fleck, lag der tote Inspektor Johannes Pallitsch
aus Chemnitz. Vor drei Minuten hatte Reindl noch scherzhaft gesagt: „Nun
werden wir ihn gleich haben." Genau an der angegebenen Stelle, die so präzis
abgezirkelt war, lag der Vermißte. Frau Pallitsch war im Traum zur Hellseherin
geworden. Sie beschrieb einen Ort, den sie nie gesehen hatte, sie entdeckte einen
Leichnam, den fünf geübte Bergführer nicht finden konnten. Drei Wochen war
der Tote nun hier gelegen. Der Körper war schon stark in Verwesung übergegangen
. Die beiden Führer eilten zu Tal, um ihren Fund zu melden. Der
Gendameriekommandant blinzelte bedeutungsvoll. Ein Traum? In seiner Karte
las man's anders. So kam es, daß am nächsten Tag die beiden Karten aus Chemnitz
in den Händen des Staatsanwaltes waren. Dann erschien die Mordkommission.
Sie ließ sich von Herrn Reindl an die Tatstelle führen Nahm an Ort und Stelle
eine genaue Untersuchung vor. Der medizinische Sachverständige, Professor
Merkel vom Gerichtlich-medizinischen Institut in München, sprach sein Urteil:
Todesursache: ein Unfall Möglicherweise aber ist Herr Pallitsch sogar eines
natürlichen Todes gestorben, da sich ktiie en s'tren Verletzungen feststellen lassen.
Ein Herzschlag kann den Touristen dahingerafft haben. Nach dem Gutachten
des Sachverständigen muß man die Annahme, es könnte sich um ein Verbrechen
handeln, fallen lassen. Die Leiche wird freigegeben. Frau Pallitsch eilt auf die
telegraphisdie Benachrichtigung hin mit Sohn und Bruder des Verunglückten nach
Garmisch. Der Leib des auf so mysteriöse Weise aufgefundenen Mannes wird
in München feuerbestattet.
Da sind also nun die zwei Karten. Auf der einen steht etwas von Hellseherei
. Auf der anderen etwas von einem unbekannten „bekannten Herrn".
Staatsanwälte pflegen nichts auf Hellseherei zu geben. Ein mystischer Schleier
liegt über dem Ganzen. Und der Staatsanwalt kann mit diesen Dingen nicht
viel anfangen. Er zieht es also vor, Frau Pallitsch zu verhören. Ihr Bericht
lautet:
„Ich habe es geträumt. Haargenau, mit allen Einzelheiten. Es hat mich
nicht mehr losgelassen, die ganze Zeit, bis zu der Traumnacht. Ich hatte
die Oertlichkeit genau vor Augen. Natürlich kannte ich die Bezeichnungen
nicht. Da wandte ich mich ai einen bekannten Herrn, mit dem ich einen
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