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Kleine Mitteilungen. 49
physikalischen Phänomene des Mediumismus endgültig wissenschaftlich beweisen
zu können. Man kann also dem Erscheinen seines Berichtes mit größter Spannung
entgegensehen. Rudi Schneider kehrte Mitte November nach Braunau
zurück, die Versuche sollen jedoch im Januar 1931 fortgesetzt werden.
Dr. Gerda W a 11 h e r.
Nietzsches Menschenbild und Psychologie nach H. Prinzhorn.
Von Prof. D. Dr. E. D e n n e r t, Godesberg.
In seiner bedeutsamen Schrift „Nietzsche und das 20. Jahrhundert
" (N. Kampmann, Heidelberg) legt Prinzhorn dar, daß Nietzsche
zwar wie keiner sonst die Würde des Menschen in Frage stellte, dann aber auch
wieder große Hoffnung auf seine Weiterentwickelung hegte: er schuf im „Ueher-
menschen" selbst ein neues Menschenbild. Wir wollen dem an Prinz-
h o r n s Hand nachgehen. Das antike Menschenbild gipfelt in Sokra-
t e s und in seinem bedingungslosen Glauben an die Vernunft. Ziel des Lebens
ist: durch Besonnenheit, Skepsis und Beherrschung ein Weiser zu werden, wie
wir dies in der Aufklärung und im Rationalismus wiederfinden. Demgegenüber
vertraut das christliche Menschenbild nicht der „Welt" und Vernunft,
nach ihm kann der Sünder nur durch einen Gnadenakt zur Einigung mit der
Welt gelangen. Asketische Anwendung des Willens sichert ihm für seine Entbehrungen
einen jenseitigen Ausgleich.
Weniger eindeutig ist das sentimentale Menschenbild des Naturmenschen
Rousseaus: dem goldenen Zeitalter des Anfangs steht der
verderbte Spätzustand der Zivilisation gegenüber. Das führt zum „Zurück zur
Natur", das sich in poetischer Schwärmerei, blutiger Revolution, spießbürgerlicher
Nacktkultur oder philosophisch-historischem Denken auswirkt. Bei Goethes
Menschenbild handelt es sich um „die Einbettung des Menschen in
Erdnatur und Kosmos", wir wurzeln nicht in dem nur-menschlichen Bewußtsein,
sondern in den tiefen Schichten, die wir mit allem Lebendigen teilen. Dies
führt über zu dem „romantischen Menschenbild", das an innerer
Zwiespältigkeit leidet. Bei ihm finden wir Sinn für Naturtiefe und bewußtlos
schaffendes Leben, aber auch geistige Aktivität und Sinn für Neuheit. Die wahren
Romantiker verkörpern eine versinkende Lebenswirklichkeit. Das sich auf
Darwin gründende biologische und mechanistische Menschenbild
nur erwähnend, gehen wir nun über zu dem Menschenbild Nietzsches
, das Prinzhorn folgendermaßen kennzeichnet (S. 54): Es „ist diesseitig
, wirklichkeitsnah wie nur das antike und dann das biologische, es trägt
jener romantischen Zwiespältigkeit Rechnung — als dem typisch modernen
Weltgefühl, es trachtet nach Ueberwindung des christlich-jüdischen Menschenbildes
, ohne sich davon ganz frei machen zu können. Aber über1 alles dies hinaus
stellt es den Menschen auf sich selbst, indem es ihm das Vertrauen zum
bewußtlos schaffenden Leben zurückgibt, den Mut zur selbstherrlichen Tnt-
scheidung in den Grenzen von Charakter und Schicksal."
Das wesentliche ist, daß nach Nietzsche der dunkle Lebenstrieb „jenseits
von gut und böse" und ohne alle Zwecke unser Dasein bis zur höchsten
Geistigkeit hinauf beherrscht. Nur in ihm ist volle Wirklichkeit und kann sich
der Mensch voll entfalten („Wille zur Macht"). Das entspricht dem Schopen-
hauerschen „Willen". Aber, wie K 1 a g e s dargelegt hat, ist das, was wir „Wille*4
nennen, etwas ganz anderes, nämlich auf einen vorausgedachten Zweck gerichtet
und mit gewisser Wahlfreiheit.
Wenn dann Nietzsche alles Gewordene in Moral, Recht, Religion u*\\.
unbarmherzig kritisch auflöst, so kommt es /u manchen Uebertreibungen, die
man nach P r i n z h o r n (S. 70) nicht tragisch /u nehmen braucht. Es steht
bei ihm dabei doch im Mittelpunkt die intellektuelle Redlichkeit, das intellektuelle
Gewissen. Jedenfalls ist daran festzuhalten, daß Nietzsche der triebhaften
Lebensfülle soweit das Wort redet („Bleibt mir der Erde treu!"), als es
mit Klugheit, Vornehmheit und Herrschbegabung einhergeht. Aber er ist davon
durchdrungen, daß der Mensch seine eigentlich menschliche Stufe noch nicht
erreicht hat, auf der sich die Menschheit aus einer moralischen zur weisen
umwandeln wird.
Und nun geht Prinzhorn dazu über, in Uebereinstimmung mit K l a g e s
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