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sehr tierlieb, Sie haben einmal einen Enterich an ein Wägelchen gespannt.'*
(Die sehr tierliebe Dame kann sich der Sache mit dem Enterich nicht entsinnen,
doch hat sie mehrfach Katzen eingespannt.) „Ihr Lehrer war ein älterer Herr
mit Spitzbart, in dem er immer mit dem Bleistift herumstrich. Sie waren
sehr ausgelassen, einmal haben Sie dem Lehrer ein Stück Bart mit der Schere
herausgeschnitten, als er auf dem Pult eingeschlafen war.*' (Wirklich strich
der Lehrer oft mit Finger und Bleistift durch einen Bart; Erinnerung an das
Herausschneiden eines Bartstücks besteht nicht, doch hat die Dame als Kind
oft den auf dem Pult eingeschlafenen Lehrer am Bart gezupft.) „Der Lehrer
hatte eine böse Frau, die schielte; er war immer unordentlich angezogen, hatte
oft einen zerfranzten Rock an und mußte seine Sachen immer selbst flicken;
einmal hatte der Mann einen großen Riß in der Hose, deshalb verließ er das
Pult nicht." (Die Frau des Lehrers trank und war böse, wenn sie nichts zum
Trinken bekam; doch schielte sie nichi: alles, was über die Kleidung des
Lehrers gesagt wurde, ist richtig; sicher hat die Frau sie nicht geflickt, schon
wegen ihrer vielen Kinder; seine Hose war mehrfach so zerrissen, daß er das Pult
nicht verlassen konnte.) „Der Lehrer hatte die Gewohnheit, manchmal auch Sonntags
in Gedanken in die Schule zu gehen; er traf Sie eines Sonntags, wie Sie gerade
in die Kirche wollten und ermahnte Sie, in die Schule zu gehen.' (Diese Angabe
kann kaum stimmen, da der Lehrer in der Schule wohnte.) Einige Angaben
über andere die Dame betreffende Dinge konnten im Protokoll nicht
sicher festgehalten werden. Um Zufallstreffer kann es sich hier nicht handeln,
und daß Möcke diese Bagatellen auf normale Weise erfuhr, ist höchst unwahrscheinlich
; durch irgendwelche Erkundigungen hätte man über die Dame, die
schwere Erlebnisse hinter sich hat, sicher ganz anderes erfahren als diese, sie
selbst kaum mehr beschäftigenden Erinnerungen aus der Kindheit.
Da sich derartige Leistungen in jedem der Vorträge Möckes einstellten,
machte ich ihm den Vorschlag, auch in meiner Wohnung vor einem ^on mir
auszuwählenden Kreis seine Experimente vorzuführen, da ich erst, wenn damit
jede denkbare Ilelfershelferei ausgeschlossen sei, in der Lage wäre, für »seine
Fähigkeiten einzutreten. Nach kurzen Verhandlungen erklärte sich Möcke
dazu bereit; die Sitzung, über deren wichtigste Ergebnisse ich im folgenden
berichten werde, fand am Nachmittag des 29. September 1929 in meiner
Wohnung statt. Da Herr Möcke mir mehrfach gesagt hatte, daß er besonders
mit Eidetikern, d. h. Personen mit starken bildhaften Vorstellungen und
Erinnerungen gute Erfolge erziele, sorgte ich dafür, daß sich einige solche
Eideliker in dein etwa a5 Personen umfassenden Kreis befanden. Als ich
Herrn Dr. Giese, den Psychologen der Stuttgarter Technischen Hochschule
aufforderte, an den Sitzungen teilzunehmen, fragte ich ihn sofort, ob er
Eidetikei sei, was er energisch verneinte; er gehört anscheinend zu den Personen
, die wie ich selbst außerstande sind, sich auch mehrfach gesehene Menschen
oder Gegenstände farbig bzw. irgendwie wirklichkeilsähnlich vorzustellen.
Feh hoffte daher, leider vergeblich, daß Möcke sich nicht gerade Herrn Giese
als Versuchsperson heraussuchen würde. Möcke experimentierte an diesem
Nachmittag mit 7 Personen, denen er sämtlich Angaben über ihre Vergangen-
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