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Wagner: Parapsychische Vorkommnisse bei Caesarius von Heisterbach. 75
Thüringen reisen wollt«: in der Nacht aber erschienen nieder im Traume die
beiden Jungfrauen und sagten, sie könnten nicht mit ihm gehen. Auf die
Frage warum, erklärte die eine: „Weil ich meinen Kamm verloren habe, den
mir, als wir unser Vaterland \erließen, meine Mutter geschenkt hat." Der Vbt
fragte: „Wer hat ilm denn?'*, worauf die Heilige sagte: „\ls Ulrich mein
Grab eröffnet und ihn gesehen hatte, steckte er ihn heimlich in seinen Handschuh
und verbarg ihn anfangs unter seinem Gewand; dann legte er ihn auf
den Rand des Grabens, und eine Schwester, namens Friderunis, die zufällig
des Weges kam, hat den Kamm entwendet/* \ni Morgen stellte der Abt in
Gegenwart der Aebtissin ein Verhör an mit dem Totengräber und jener
Friderunis: es bestätigte sieh die Richtigkeit aller von der Erscheinung angegebener
Umstände, und der Kamm wurde in den Rcli<juien<ehrein gelegt, mit
welchen der Abt sodann nach Thüringen zurückkehrte.
Zur Zeit des Krieges zwischen Philipp von Schwaben und Otto \on Braun-
schweig versleckten die Mönche jenes thüringischen Klosters ihre Kirchenschätze
und Reliquien in einem verborgenen Gewölbe. \ls wieder Friede war.
wurde alles an seinen alten Platz gebracht — nur jener Schrein blieb unbeachtet
in seiner Verborgenheit. Hierüber unwillig, sagt Caesarius, stießen
die Jungfrauen zweimal so heftig gegen ihren Schrein, daß man es im ganzen
Kloster hören konnte; zweimal erschienen sie auch im Traume djem Sakristan
und erklärten ihm, sie würden den Ort verlassen, wo man sie so verächtlich
behandle. Als weder Stöße noch Träume halfen, erschienen die Phantome in
der Klosterkirche während der Frühmesse einer Festnacht, \erneiglen sich, wie
abschiednehmend vor dem Altar, dem Abt und den Vnwesenden, und \erschwanden
durch eine Pforte, di°. sonst immer geschlossen war. Es stellte sich
nach dem Gottesdienst durch die Vngaben der Mönche heraus, daß alle die
nämliche Erscheinung gehabt hätten. Der Abt begann nun den Sinn der Vision
/u erforschen; man erinnerte sich an die vernachlässigten Reliquien, und holte
sie. Zum Entsetzen aller fand sich aber im Schrein nichts mehr vor. Nun
begab sich der Abt nach Köln, wo Nachforschungen ergaben, daß die Leiber
wieder an ihrem alten Orte lagen.
3. S p ii k.
(XII. 'M).) hn Zislerzienserinnenkloster Sahatorberg starb um Weihnachten
ein neunjähriges Mädchen. Als der Konvent am hellen Tage im Chor
war, sah ein gleichaltriges Alädchen die Arcrstorbene mit eintreten; sie verneigle
sich tief vor dein Altar, und ging dann auf den gewohnten Platz. Das
Mädchen ward \on solchem Enlsetzen ergriffen, daß alle es merkten. Die
Aeblis&in Benigna, aus deren Mund Caesarius den Torfall hat, wies das
Mädchen an, die Erscheinung zu befragen, woher sie komme und was sie begehre
. Am nächsten Tage zeigte sich wieder das Phantom, und gab auf
Befragen zur Antwort, sie müsse Genugtuung leisten, weil sie ,,im Chor gern
mit dir zischelte und halblaute Worte flüsterte". Nach der vierten Erscheinung
sagte sie zu dem Mädchen: ,.Vm ist meine Bußzeit um und du wirst mich
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