http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1931/0193
163
nicht leicht, sich diesem Rhythmus hinzugeben, es war qualvoll, doch von großer
Erhabenheit. Ich fühlte mich wie die Verkörperung eines Gotles, wie sein
Sprachrohr oder wie sein Priester. Alles Niedere an uns sollten wir den Göttern
opfern, ging mir durch den Kopf, das ist unsere priesterliche Mission^;
als Symbol opferte man so die Tiere, vielmehr man überredete — hypnotisierte
— sie, sich freiwillig zu opfern, so (at man ihnen auch nicht jwehe,
schien es mir wenigstens.
So schwang ich in der Urschvvingung, die uns auffängt, wenn wir uns
fallen lassen; wir können also nicht verlorengehen. Daß sie so qualvoll ist*
schien mii in der Natur der Sache zu liegen. Christus sera en agonie jusqu'ä
la fin du monde!" sagt Pascal. Wenn man also heute ein Götterleben führen
will, so nimmt man an der Agonie der Götter teil. Man kann nur den gekreuzigten
Christus erleben, nicht den auferstandenen. Der gekreuzigte
Christus, der zerstückelte Dionysos, das in Schlaf versenkte Dornröschen
.schienen mii nur Svnonyma der gleichen Wahrheil. Die olympischen Götter
Spittelers liegen in Ketten, bis sein olympischer Frühling beginnt, und
Arthurs Tafelrunde wird auf dem Wege zum Gral in Gesträuch verzaubert;
alles Bildei für eine Wahrheit, die ich eigentlich bildlos fühlte. Als edelste,
diesem Zustand angemessene Lage schien mir, halb zu sitzen, halb zu liegen.
Man braucht nur, fühlte ich, schön zu liegen und langsam zu atmen, dann ist
man den Göttern nahe.
Den auferstandenen, lebendigen Gott kann man zwar nicht erleben, aber
man kann an ihn glauben; man kann ihn auch „sehen", wie Paulus, aber
auch das befreit einen nicht \om .,Pfahl im Fleische"; Beweis und Stütze
des Glaubens schien mir die Traube, das Sakrament des Weins. Sie wächst am
Holze des Gottes, der überwunden hat, und sie zu schlürfen, das fühlte ich
unmittelbar, heißt das Blut des Gottes trinken. Mit welcher Wonne schlürfte
ich langsam einige Trauben, an denen mich nur dei Abfall störte, den meine
Frau sofort beseitigen mußte.
Mein ästhetisches Empfinden war geschärft; ich war besonders empfindlich
für Farben. Das höchste Erlebnib war mir die Erkenntnis des Braun".
Es schien mir die edelste Farbe in jeder Schattierung. Mit welcher Wonne
betrachtete ich mein rohseidenes Pyjama und das gelbe Kleid meiner Frau,
die mii immer mehr wie eine Göttin vorkam, \lles Braune, Gelbe, Beige
ent/ückte mich; die braunen Barockmöbel bereiteten mir Wonnen. Das Wertvolle
, auf der Erde verkörpert zu sein, schien sich mir in Gelb auszudrücken.
Braun schien mir die Farbe der Reife, die Götter färbe; die braune Hasse schien
mir die Göiterrabse. Blondhcil schien mir ein Zeichen der Jugend zu sein,
doch etwas, zur Anpassung an diese Welt Geeignetes. Ich fühlte meine Abstammung
von jener braunen Ilasse; ich fühlte einen Tropfen Götterbluls in meinen
\dern, als Zeichen einer gölllichen Abkunft. Der Wreg des Blutes schien mir
über die Mutter zu den Mauren zu gehen; Abd el Kadr schwebte mir plötzlich
vor, vielleicht hatte ein maurischer Tor fahre eine Jüdin geheiratet; auch einen
starken griechischen Blutbeitrag fühlte ich, daher die Wonne über die Frucht
des Dion)sos, die mir den Weg aus der Urzeit zu der Moderne erleichterte.
12
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1931/0193