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Zeitschrift für Parapsychologie. 5. Heft. (Mai 1931.)
Titel der vorliegenden Zeitschrift unzweideutig anempfohlen war! Aber diese
Erforschung hat einen Haken, oder zwei, denn sie liegt einmal auf dem Gebiete
der Selbsterkenntnis und ist ein andermal leider — unwissenschaftlich!
So sagt man!
Kleine Mitteilungen.
Die lebenden Perlen!
Ein rätselhaftes Erlebnis.
Von Anna Freifrau v. D a I w i g k.
Im Jahre 1701 kehrte einer unserer Vorfahren aus Indien zurück und brachte
eine Perlenkette mit, die die berechtigte Bewunderung all seiner zahlreichen
Nachkommen erregte, da die Perlen ungewöhnlich groß und von seltenem Olanze
waren. Aber auch der selige Ahnherr selbst hat anscheinend großes Interesse
für diese Perlen bekundet: denn in der Familienchronik sind ihnen viele Seiten
eingeräumt worden. Im Laufe der verflossenen Jahrhunderte ist nun-seine Schrift
verblaßt und gänzlich unleserlich geworden, nur der Schluß der Schilderung hat
sich einigermaßen erhalten, in dem folgendes zu lesen ist:
„. . . Uns Seefahrern grausete es ganz gewaltiglich, denn Blut klebete
an der wunderherrlichen Perlschnur, und, obwohl genieret, brachte ich das
Halsband würklich heim bei glückhafter Landung im Jahre des Heiles 1711"
An diese Worte mußte ich denken, als ich vor drei Jahren zu einem längeren
Besuch in das Haus meiner Schwester Ellinor fuhr, die durch den frühen Tod
unserer Mutter die Erbin der Perlenkette geworden war. Schon am zweiten Tage
nach der Ankunft bat ich sie, aus Anlaß eines größeren Besuches, die Kette umzulegen
. Ellinor wehrte sich anfänglich, doch überwand sie schließlich ihre Scheu
und gab meinem Drängen nach. Wir öffneten das Etui die Perlen lagen geisterhaft
bleich da, matt und ohne den geringsten Glanz . . .
„Du mußt die Kette täglich tragen", rief ich erschreckt meiner Schwester zu,
„denn die Perlen sind krank, sie sterben . .
In alten Gräbern hat man des öfteren Perlen gefunden, die in Pulverform
übergegangen waren. Dasselbe Schicksal drohte wohl auch den sagenhaft erworbenen
Orientperlen, und, um sie zu retten, um sie von ihrer „Krankheit" zu
heilen, gab mir Ellinor, wenn auch schweren Herzens, das Versprechen, sie von
nun an täglich zu tragen. Schon nach kurzer Zeit opalisierten sie, ja, sie leuchteten
so wunderbar rosig auf, wie wir sie noch niemals vordem gesehen hatten.
Es vergingen zwei Wochen und mit ihnen Ellinors Scheu vor den Perlen:
denn sie wurden immer schöner, und oft und gern legtt sie nun meine Schwester
um. Bis eines Tages auf einer Spazierfahrt — der Waldweg war gerade sehr
holperig — meine Schwester ganz entsetzt behauptete, daß die Perlen sich an
ihrem Halse bewegten, /ch lachte sie natürlich aus, und, als sie auch trotzdem
weiterhin darauf bestand, schrieb ich diesen kleinen Zwischenfall entweder ihrer
Phantasie oder den erregten Nerven zu. . .
Den Rest des Tages waren alle lustig und fidel, nur Ellinor schwieg beharrlich
* sie lachte nicht, sie tanzte nicht, sie hatte keinen Appetit und eine sonderbare
Blässe wich nicht von ihrem Gesicht. Trotzdem aber nahm sie die Kette,
die ihr die Ruhe raubte, erst in ihrem Schlafzimmer ab.
Doch kam der Schlaf während der Nacht nicht zu ihr, sie konnte die Augen
nicht schließen, litt an Halluzinationen und glaubte sich von maskierten Indern
verfolgt, die sich rächen wollten, vergelten, was die Perlen einst verschuldet.
Am nächsten Morgen, in aller Frühe, stürzte Ellinor in mein Zimmer; sie
war sehr aufgeregt und hielt in der zitternden Hand die Perlenkette. In der
Mitte der Kette aber war ein doppelt geschlungener Knoten zu sehen, ein sogenannter
Fischerknoten. . .
„So finde ich eben die Kette", sagte sie und schüttelte sich vor Entsetzen.
Ich mußte wiederum lachen, ganz laut lachen über das neue Stadium der Perlenschnur
, über die nun „sich knotenden" Perlen. Um aber meine Schwester von
dem Schrecken zu befreien, legte ich ihr die Kette am Nachmittage selbst um
den Hals und blieb fortan in ihrer Nähe.
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